Fokus: Expressionismus. Sammlung Selinka
17. Oktober 2020 bis 7. Februar 2021
Pressekonferenz: Donnerstag, 15. Oktober, 11 Uhr

Die Ausstellung zeigt mit 42 Werken ausgewählte expressionistische Arbeiten aus der Sammlung Selinka des Kunstmuseum Ravensburg. Etwa zwei Drittel der Sammlung bestehen aus Werken des Expressionismus, vorwiegend aus Arbeiten der Künstlergruppe »Brücke« (1905–1913). Die Werkschau setzt einen  Schwerpunkt bei den 1910er-Jahren und gibt einen Einblick in fast die Hälfte der Neurahmungen, die in den letzten beiden Jahren erfolgt sind. Zeitgleich wurden alle Arbeiten auf Papier restauratorisch betreut und von ihren Passepartouts befreit, sodass ein unverstellter Blick auf das gesamte Blatt möglich ist.

Die jungen Künstler, die man heute unter dem Begriff »Expressionismus« zusammenfasst, lehnten sich Anfang des 20. Jahrhunderts gegen die beengenden gesellschaftlichen Strukturen sowie die traditionelle akademische Malerei auf. Die größte Bekanntheit erlangten die Künstlergruppe »Brücke« in Dresden und später Berlin sowie die Künstlervereinigung »Der Blaue Reiter« in München. Angeregt durch lebensreformerische und psychoanalytische Bewegungen zu Beginn des Jahrhunderts verkörperten sie ein neues Lebensgefühl. Entgegen der vom industrialisierten Arbeitsprozess fremdbestimmten und durch den Wilhelminismus reglementierten Gesellschaft suchten sie den Einklang zwischen Mensch und Natur und rückten das »subjektive Empfinden« in den Mittelpunkt. »Jeder gehört zu uns, der unmittelbar und unverfälscht das wiedergibt, was ihn zum Schaffen drängt«, heißt es im Manifest der »Brücke«-Künstler, das Ernst Ludwig Kirchner 1906 in Holz schnitt.

Der erste Teil der Sammlungspräsentation zeigt eine Zusammenstellung aus Frauenporträts, gefolgt von ausgesuchten Einzelpräsentationen. Kennzeichnend für die Porträts der expressionistischen Künstler ist nicht die detailgetreue Darstellung vorgegebener Posen, sondern der unverfälschte Ausdruck einer inneren, subjektiven Wahrnehmung. So fanden die Expressionisten ihre »Modelle« in Geliebten, Freunden, Bekannten und den Mitmenschen aus ihrem unmittelbaren Lebensumfeld, wie sich gleich zu Beginn der Ausstellung an der Malerei Das Spanische Mädchen (1912) von Alexej von Jawlensky (1864–1941) nachvollziehen lässt. Für die Porträtreihe der »Spanierinnen«, die über mehrere Jahre hinweg entstanden ist, saß oftmals der befreundete Tänzer und Choreograf Alexander Sacharoff in seinen Bühnenkostümen Modell. Zwei Porträts, die Max Kaus (1891–1977) von seiner Frau Gertrud Kant, genannt Turu, angefertigt hat, veranschaulichen die Nähe zwischen Modell und Künstler aufs Eindringlichste: Das Porträt der jungen Turu (Liegende Frau, 1921) ist ein Kennenlernen der jungen Frau, das zwanzig Jahre später entstandene Bild hält ihre Erkrankung fest und bezeugt sein langes Abschiednehmen von ihr. Hingegen rückt sich Erich Heckel (1883–1970) in dem Holzschnitt Männerbildnis (1919) mit abgewandtem nachdenklichem Blick, tiefen Falten und einer Grünfärbung des Gesichts als einen von den Schrecken des überstandenen Ersten Weltkriegs im wahrsten Sinne des Wortes Gezeichneten selbst ins Bild. Der Streifzug durch die Werke der Sammlung Selinka lässt anhand zahlreicher Druckgrafiken und einiger Gemälde erkennen, wie sich die Künstler weniger an einem Abbild der Realität als einem ›Fühlen‹ eines Inhalts orientierten.

Begleitveranstaltungen:

• Im Dialog mit Gudrun Selinka
Gemeinsamer Ausstellungsrundgang zur Sammlung Selinka
Mittwoch, 4. November 2020, 18 Uhr

• Vortrag »Restaurierung im Spannungsfeld von Handwerk
und Wissenschaft«
Bettina Bünte, Diplomrestauratorin, Stuttgart
Mittwoch, 2. Dezember 2020, 18 Uhr

 

EMEKA OGBOH. THE WAY EARTHLY THINGS ARE GOING
17. Oktober 2020 bis 7. Februar 2021
Pressekonferenz: Donnerstag, 15. Oktober, 11 Uhr

Das Kunstmuseum Ravensburg zeigt erstmals in Deutschland die eindringliche Sound- und Lichtinstallation »The Way Earthly Things Are Going« (Der Lauf der irdischen Dinge) von Emeka Ogboh (*1977, lebt in Berlin), die der nigerianische Künstler 2017 für die documenta 14 in Athen konzipiert hat. Sie entstand im Zuge seiner Auseinandersetzung mit den Auswirkungen der internationalen Finanzkrise, im Speziellen mit der griechischen Wirtschaftskrise. Die Mehrkanal-Installation verbindet ein polyphones altgriechisches Klagelied mit Börsendaten der Welt-Aktienindizes, die in Echtzeit auf ein LED-Band übertragen werden. Ogboh stellt die laufenden Berichte der Kapitalmärkte – wie die Reaktion der Börsenkurse auf die Corona-Krise – in Dialog mit dem ergreifenden Gesang über erzwungene Migration und die Suche nach einem besseren Leben.

Die einzelnen, über den Raum verteilten Stimmen entfalten und verzweigen sich zu einer räumlichen Komposition aus Klang und Licht. Dabei stehen die Stimmen des weiblichen Chors, die von menschlichen Schicksalen berichten, im starken Kontrast zum faktischen Informationsfluss der Kapitalmärkte, der sich unbeeinflusst von den Einzelschicksalen fortsetzt. Ogboh erzeugt einen Erfahrungsraum aus Klang und bewegtem Bild, der über das Zusammenspiel von Migration und globaler Wirtschaft nachdenken lässt.

Der Titel der raumgreifenden Installation stammt von dem bekannten Liedtext »So
Much Trouble in the World« von Bob Marley. Das traditionelle Klagelied Αλησμονώ και χαίρομαι (Wenn ich vergesse, bin ich glücklich), das die Basis von Ogbohs Arbeit bildet, kommt aus der Region Epirus in Nordgriechenland und wurde hierfür von dem Frauen-A-cappella-Chor »Pleiades« interpretiert. Der Liedtext schildert das Abschiednehmen einer Mutter, die ihrem Sohn eine Wegzehrung zubereitet und vor dem Ofen sitzend hofft, dass das Brot nicht fertig wird, so dass die Karawane weiterzieht und ihr Sohn bei ihr bleiben wird.

Sowohl Hör- wie auch Geschmackserfahrungen bilden den Ausgangspunkt von Emeka Ogbohs Werken. Einem breiten Publikum wurde Ogboh durch die Klanginstallation »The Song of the Germans« (2015) bekannt, die die deutsche Nationalhymne in den Muttersprachen von in Berlin lebenden Afrikanern erklingen ließ. In jüngsten Installationen arbeitete er mit der traditionellen Igbo Musik aus dem Osten Nigerias, wo er geboren und aufgewachsen ist. An zahlreichen Orten in Deutschland hergestellt und erprobt ist wiederum sein ortsspezifisches dunkles Bier »Sufferhead Original« (seit 2015), das die Geschmacksvorlieben afrikanischer Communitys mit lokaler Brautradition in Deutschland vereint und auf humorvolle Weise das Reinheitsgebot deutscher Braukunst unterläuft. Ogboh untersucht in seinen Soundarbeiten und multimedialen Installationen, wie die sinnliche Wahrnehmung von Klang oder Nahrung unsere kulturelle Identität prägt, und eröffnet kritische Fragen rund um den Themenkomplex Migration, Globalisierung und Postkolonialismus.

Seine Werke wurden in zahlreichen internationalen Ausstellungen vorgestellt, u. a. documenta 14, Athen/Kassel (2017), Skulptur Projekte Münster (2017), 56. Biennale Venedig (2015), Dakar Biennale (2014). Einzelausstellungen u. a. im Cleveland Museum of Art (2019), in der Tate Modern, London (2017), Staatliche Kunsthalle Baden-Baden (2017), im Smithsonian National Museum of African Art, Washington DC (2016).

Begleitveranstaltungen:
• Vortrag: »Haut, Ton, Farbe. Zum Werk von Emeka Ogboh«
Johan Holten, Direktor Kunsthalle Mannheim
Donnerstag, 19. November 2020, 19 Uhr

• Vortrag: »A Taste of Fashion in Africa. Reflexion über afrikanische Mode, Stile und gesellschaftliche Wahrnehmung«
Beatrace Angut Oola, Fashion Africa Now, Hamburg, und Dr. Cornelia Lund, fluctuating images, Berlin
Donnerstag, 28. Januar 2021, 19 Uhr

Bildnachweise:
Otto Mueller, Adam und Eva, Sammlung Selinka, Foto: Wynrich Zlomke
Emeka Ogboh, The Way Earthly Things Are Going, 2017, © der Künstler, Tate Modern 2017

 

Kristina Groß
Kuratorin
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