13. Mai – 20. August 2023
Georg Kolbe Museum


Eröffnung: ab 18 Uhr, 19 Uhr begrüßen Sie Dr. Kathleen Reinhardt (Direktorin des Georg Kolbe Museum), André Schmitz (Vorstand der Georg Kolbe Stiftung), Stephan Dörschel (Abteilungsleiter Archiv Darstellende Kunst der Akademie der Künste) und Daniela Gregori (Kuratorin der Ausstellung)

Gefeierter Theater- und Filmstar, politische Aktivistin, Berliner Ikone und wohl eine der meistporträtierten Frauen ihrer Zeit. Die Rollen von Tilla Durieux (1880, Wien–1971, West-Berlin) waren ebenso vielfältig wie auch die Liste der Künstler*innen, denen sie Modell saß: unter ihnen Max Slevogt, Lovis Corinth, Franz von Stuck, Ernst Barlach, August Gaul, Mary Duras, Emil Orlik, Sasha Stone, Oskar Kokoschka, Olaf Gulbransson, Max Oppenheimer, Frieda Riess und Lotte Jacobi – um nur einige zu nennen. Diese Darstellungen in unterschiedlichsten Medien entstanden über einen Zeitraum von rund 70 Jahren und zeigen Durieux im Spiegel ihrer Zeit. Das Georg Kolbe Museum widmet der vielseitigen Persönlichkeit und ihrem bewegten Leben eine umfassende Ausstellung, die auch die Geschichte einer gebrochenen Moderne erzählt.

Anhand zahlreicher Kunstwerke von bedeutenden Künstler*innen, Filmen, Tonaufnahmen, Fotografien und Dokumenten aus dem Nachlass Tilla Durieux‘ – von dem Teile im Georg Kolbe Museum beherbergt sind – zeigt die Ausstellung ein tiefgreifendes Panorama einer künstlerischen Visionärin. Tilla Durieux. Eine Jahrhundertzeugin und ihre Rollen umfasst rund 200 Werke und gibt umfassende Einblicke in die Kultur- und Theatergeschichte ihrer Lebzeit.

Die in Wien geborene Ottilie Helene Angela Godeffroy wollte seit ihrer Kindheit auf der Bühne stehen und änderte dafür ihren Namen in Anlehnung an den Namen der Großmutter zu Tilla Durieux. Nach einer Schauspielausbildung in ihrer Heimatstadt Wien schaffte es Durieux über Stationen in Olmütz und Breslau 1903 auf die Bühne des Intendanten und Regisseurs Max Reinhardt am Deutschen Theater in Berlin. Mit der Rolle der Salomé in Oscar Wildes gleichnamigen Stück gelang ihr der Durchbruch – und der Mythos Tilla Durieux war geboren. Es folgten Engagements in allen wichtigen Häusern Europas. Rollenporträts, Kostümentwürfe, szenische Aufnahmen und Postkarten zeugen in der Ausstellung von einem vielfältigen Theaterleben und Durieux’ Rollen darin: Weib des Potiphar (»Josephslegende«), Anitra (»Peer Gynt«), Lady Macbeth (»Macbeth«) und Marie Bornemann (»Langusten«) sind nur einige von vielen. Ein Rollenrepertoire, das immer wieder geprägt war durch die Darstellung der Unangepassten und Exzessiven, das auch über die Bühne hinaus das Bild von Tilla Durieux in der Öffentlichkeit prägte.

Als sie 1902 ihren ersten Ehemann Eugen Spiro in Breslau kennenlernte, standen beide am Beginn ihrer Karrieren. In der Ausstellung im Georg Kolbe Museum ist zu sehen, wie der Maler und Grafiker seine Frau im privaten Umfeld porträtierte und so Momente des vertrauten gemeinsamen Glücks festhielt, wie zum Beispiel Tilla Durieux am Flügel (1907) oder Dame mit Hund (1905).

Der Kunsthändler und Verleger Paul Cassirer war ab 1910 Durieux‘ zweiter Ehemann. Er förderte die bereits sehr erfolgreiche und ehrgeizige Schauspielerin umfänglich und gemeinsam waren sie fester und glamouröser Bestandteil der Kunst- und Literaturkreise Berlins in dieser Zeit. Neben Künstlern wie Max Liebermann, Lovis Corinth, Max Slevogt, August Gaul, Ernst Barlach oder Leo von König gehörten im Laufe der Jahre ebenso Kulturschaffende wie die Schauspielerin Tilly Wedekind und Theaterautor Frank Wedekind, der Pianist Leo Kestenberg, die Dichterin Else Lasker-Schüler, der Schriftsteller Heinrich Mann, der Sammler Harry Graf Kessler, der Verleger Samuel Fischer, die Kunstschriftsteller Julius Elias, Julius Meier-Graefe, Max Osborn oder der Kritiker Alfred Kerr zum Bekannten- und Freundeskreis des Paares. Viele von ihnen porträtierten Tilla Durieux als eigenständige und emanzipierte Frau, die den Aufgaben, die ihr das Leben stellte, mit Haltung begegnete und hierfür bisweilen unkonventionelle Lösungen fand.

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs arbeitete Durieux als Krankenschwester in Berlin, beendete jedoch bald ihren Dienst und engagierte sich fortan für den Frieden. Auch im Schweizer Exil ab 1917 versammelte das Ehepaar einen Kreis von Kulturschaffenden und Intellektuellen um sich. Aber Cassirers psychische Probleme wurden durch seine Erfahrungen an der Front verstärkt und nachdem Tilla Durieux 1926 die Scheidung einreichte, unternahm Paul Cassirer einen Selbstmordversuch, an dessen Folgen er bald darauf starb. Das tragische Ende einer der bekanntesten Amour Fou‘ der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts

Tilla Durieux war Zeit ihres Lebens sozial und politisch engagiert. Bereits vor dem 1. Weltkrieg veranstaltete sie Kindergesellschaften für sozialschwache Kinder und rezitierte in ihrer Freizeit gemeinsam mit dem Pianisten und späteren Politiker Leo Kestenberg in den Arbeitervierteln von Berlin deutsche Klassiker. Dabei lernte sie auch Rosa Luxemburg kennen, der sie später monatlich eine finanzielle Zuwendung erteilte. In den Wirren der Münchner Räterepublik verhalf sie dem Schriftsteller Ernst Toller auf dessen Flucht, der Intendant Erwin Piscator bekam von Tilla Durieux finanzielle Hilfe zur Umsetzung seiner nicht unpolitischen Theatervisionen am Nollendorfplatz in Berlin. „Seltsamerweise erfüllte mich nicht der Drang nach Erfolg oder Ruhm und Glanz, es war mehr ein krankhaftes Sehnen nach einer anderen Welt, die doch irgendwo stecken musste. Einer Welt voller Geheimnisse und zugleich voller Wahrheit, einer Welt, die ich nicht hätte beschreiben können, die aber erreicht werden musste, und sollte ich an meinem Ziel verhungert und in Fetzen ankommen“, schrieb Tilla Durieux in ihrer Autobiografie Eine Tür steht offen.

Als Durieux‘ dritter Ehemann, der Industrielle und Kunstsammler Ludwig Katzenellenborgen sein Vermögen verlor, war es Durieux, die ihr gemeinsames Leben und die spätere Flucht vor den Nationalsozialisten durch Gastspielauftritte sowie den Verkauf von Schmuck und Bildern finanzierte. Ab 1933 zählten Prag, Ascona, Opatija – wo sie das Hotel Cristallo betrieben – und schließlich Zagreb, wo sich heute noch ein Teil von Durieux‘ Sammlung im Stadtmuseum befindet, zu den Stationen ihrer Flucht. Trotz mehrerer Versuche gelang es dem Ehepaar nicht Visa zu erhalten, um in die USA zu fliehen. In Abwesenheit von Durieux wurde Katzenellenbogen nach Berlin verschleppt, wo er nach einer KZ-Internierung 1944 starb.

Nach Kriegen, Flucht und Exil schrieb Tilla Durieux aus Anlass ihres 75. Geburtstags für ein Berliner Feuilleton über ihr damaliges Leben zwischen Zagreb und Berlin: »In Wien kam mein Körper zur Welt, an einem Tag, wo mit Kanonen und Glockenschlag der 50. Geburtstag des Kaisers Franz Josef (sic!) gefeiert wurde. Berlin gab mir das geistige Erwachen. Wien schenkte mir die Heiterkeit, Berlin Ausdauer und eisernes Wollen.«

Noch im Jahr dieses Rückblicks kehrte die Schauspielerin nach dem 2. Weltkrieg endgültig nach Berlin zurück. Zu den vielen Rollen, die sie auf der Bühne wie im Leben verkörpert hat, kamen noch einige hinzu: Hoteliere, Kaninchenzüchterin, Widerstandskämpferin, Dramatikerin und Kostümbildnerin eines Puppentheaters. Am 21. Februar 1971 verstarb Tilla Durieux 90-jährig in Berlin und wurde auf dem Friedhof Heerstraße begraben, wo schon Paul Cassirer und auch Georg Kolbe ihre letzte Ruhestätte gefunden hatten. Neben zahlreichen Bühnenauftritten, Dreharbeiten, Gastspielen, Lesungen und Vorträgen bis ins hohe Alter ordnete Durieux ihren Nachlass und bestimmte so selbst über das Bild ihrer bemerkenswerten Persönlichkeit, welcher die Ausstellung im Georg Kolbe Museum nachspürt.

Die Ausstellung wird von der Kunsthistorikerin und Kritikerin Daniela Gregori kuratiert und entstand in Kooperation mit dem Leopold Museum, Wien, wo die Ausstellung vom 14.10.2022 – 27.02.2023 zu sehen war, und der Akademie der Künste, Berlin.

Die Ausstellung wird begleitet von einer Intervention in Zusammenarbeit mit der Künstlerin und Vermittlerin Alice Escher, die Anregungen und Fragestellungen zu einer aktuellen Sicht auf Tilla Durieux aufgreift. Unter dem Hashtag #durieuxjetzt sind alle Besucher*innen eingeladen, mitzudenken und auf Instagram darauf zu reagieren.

Ein Katalog in deutscher und englischer Sprache zur Ausstellung ist bereits erschienen und für 34,90 Euro in unserem Museumsshop erhältlich.


Rahmen- und Vermittlungsprogramm

Kuratorinnenführungen
14. Mai um 14 Uhr & 15. Juni 2023 um 18 Uhr

Filmvorstellung mit Einführung von Daniela Gregori
Es, ein Film von Ulrich Schamoni (1966), Arsenal Kino
15. Mai 2023, 20 Uhr

Vortrag von Elisabeth Heymer
Tilla Durieux im Spiegel der Kunstkritik
01. Juni 2023, 19:30 Uhr

Interaktive Führung
Feministische hacks mit Alice Escher
03. Juni und 29. Juli 2023, jeweils um 15 Uhr

Missy x Kolbe, mit Sonja Eismann und Banafshe Hourmazdi
30. Juni 2023, im Rahmen des Kultursommerfestivals Berlin 2023

Panel
Kunst und Recht. Der Nachlass von Tilla Durieux in Zagreb
06. Juli 2023

Finissage und Lesung mit der Trägerin des Tilla-Durieux- Schmucks 2010–2020 Judith Hofmann
20. August 2023

Bildnachweis: Eugen Spiro, Dame mit Hund (Tilla Durieux), 1905, © Privatsammlung, Foto: Leopold Museum


Georg kolbe Museum
Sensburger Allee 25
14055 Berlin
Telefon: 030-304 21 44
E-mail: info@georg-kolbe-museum.de

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