18. März – 10. April 2023
Haus am Lützowplatz


Eröffnung: 17. März 2023, um 19 Uhr

Mit Arbeiten des Aambulanz-Kollektivs: Michel Castaignet, Kathrin Landa, Florence Obrecht, Axel Pahlavi, Alexej Tchernyi, Alex Tennigkeit und Wu Zhi

Kuratiert von Katharina Schilling

„I found it hard, it´s hard to find. Oh well, whatever, nevermind.“[1] Mit diesen Textzeilen beschreibt Kurt Cobain Anfang der 1990er Jahre die Identitätssuche von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Ein Thema, das auch die Mitglieder des Aambulanz-Kollektivs Michel Castaignet, Kathrin Landa, Florence Obrecht, Axel Pahlavi, Alexej Tchernyi, Alex Tennigkeit und Wu Zhi künstlerisch beschäftigt.

Das Aambulanz-Kollektiv gründete sich 2020, im ersten Jahr der noch immer anhaltenden Corona-Pandemie, um gegen die Isolation und Tristesse des neuen Künstler*innenalltags ein Zeichen zu setzten. Freundschaftlich-kollegial verbunden wollen sie Ausstellungsprojekte anstoßen und einander im individuellen Kunstschaffen bestärken, das sich dem Kollektiven nie künstlerisch unterordnen muss. Die Tatsache, dass die meisten Künstler*innen des Kollektivs Maler*innen sind, spielte bei der Gründungsidee eine untergeordnete Rolle. Die Zusammenarbeit umfasst sowohl das gemeinsame Ausstellen von eigenen Arbeiten als auch die Produktion gemeinsamer Kunstwerke in einem arbeitsteiligen Prozess.[2]

Alle Mitglieder des Aambulanz-Kollektivs verbindet das Interesse an Menschen. An seinem Innenleben, seinem Platz in der Gesellschaft, seinen Visionen, seinen Zweifeln und (gescheiterten) Hoffnungen, sowie eine Vorliebe für das Figürliche und Gegenständliche, für das Erkunden des Gegenübers im Portrait, für die künstlerische Auseinandersetzung mit der eigenen Person im Selbstportrait. Dabei ist eine grundsätzliche Faszination der Gruppe für das Einfangen von fragilen Gemütszuständen spürbar. Der Wunsch, das Oszillieren zwischen verschiedenen Gefühlen in einem Bildnis zu vereinen. Die Portraits sind aufwendig komponiert und verbinden altmeisterliche Maltechniken mit dem Fotorealismus neuer Medien. Die Betrachter*innen können in den Arbeiten ikonografische Elemente der biblischen Geschichte ebenso entdecken wie Verweise auf popkulturelle Phänomene unserer Zeit.

Ein weiteres verbindendes Element des international zusammengesetzten Aambulanz-Kollektivs ist, dass die prägenden Teenagerjahre in den späten 1980er und früheren 1990er Jahre durchlebt wurden. Einer Zeit, in der MTV gegründet wurde, amerikanische Serien und Filme populär wurden, Neonfarben reüssierten und Kurt Cobain zum Gesicht der Grunge-Bewegung wurde. Es war eine Zeit, in der die letzten Jugendlichen ohne die Dauernutzung von Computern und Mobiltelefonen aufwuchsen.

Für die Ausstellung  „Back to the Future“ begeben sich die Kollektivmitglieder genau wie die Teenager Marty McFly und Dr. Emmett L. „Doc“ Brown in der gleichnamigen legendären Fiction-Film-Trilogie „Zurück in die Zukunft“[3] auf eine Zeitreise, die sie sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft führt.

Wie im ersten Teil der Film-Trilogie beamen sich die Künstler*innen zunächst für die im Rahmen der Ausstellung im Kunstverein Markdorf entstandene Kollektivarbeit ungefähr 30 Jahre zurück und konfrontieren die Besucher*innen mit einer Installation aus Teenager-Selbstportraits. Schüchtern, sanft, selbstbewusst gucken sie die Betrachter*innen frontal oder im Dreiviertelprofil an, blicken zu Boden oder fixieren das Gegenüber mit hochgestrecktem Kinn. Wir treffen auf sieben Jugendliche, die den Großteil ihres Lebens noch vor sich haben, die neugierig auf das sind, was noch kommen mag. Ausstellungsdramaturgisch fungiert diese Installation als eine Art Prolog, als ein Vorwort, das auf das Thema der Ausstellung – die Adoleszenz, das Erwachsenwerden- einstimmt. Zudem zeigen alle Künstler*innen des Kollektivs Kinder-und Jugendportraits, die in den letzten Jahren entstanden sind.  

Michel Castaignet (*1971) nutzt meist gefundene fotografische Vorlagen, nach denen er seine Gemälde komponiert. Für zwei der hier gezeigten Arbeiten lieferte die künstliche Intelligenz Dall-e[4] die Vorlage, wie seine Teenagerjahre in den 1990er Jahren ausgesehen haben könnten. So entstanden die Gemälde von einem traurigen Mädchen und eine Rave-Partyszene.

Kathrin Landa (*1980) konzentriert sich in ihren Arbeiten vor allem auf die Modellierung des Gesichts der portraitierten Mädchen und Jungen durch raffiniertes Lichtspiel in großer handwerklicher Könnerschaft. Vor meist monochromen Hintergründen inszeniert sie ihre Modelle mit ausdrucksstarkem Blick, die sie an die Tradition der ikonografischen Heiligenattribute anknüpfend oft mit Tieren abbildet.

Florence Obrecht (*1976) verbindet in ihren Portraits von Kindern und jungen Erwachsenen Tradition und Moderne auf äußerst spannende und eigenwillige Weise. In altmeisterlicher Manier ausgeführt, mit Liebe zum floralen Dekor und berühmte Bilder der Kunstgeschichte adaptierend treffen wir in ihren Gemälden auf Personen in neonfarbenen Sneakers, Sportkleidung, Lidl-Shorts und Hula-Hoop-Reifen als Accessoires der 80er Jahre.

Axel Pahlavi (*1975) fängt in seinem schwarzweißfarbigen Gemälde eines auf einem Sessel sitzenden jungen Mannes die Schwere und Orientierungslosigkeit der Teenagerjahre beispielhaft durch dessen Blick und Haltung ein. Häufig nutzt Pahlavi die Figur des Clowns, um die Traurigkeit hinter den stark geschminkten Gesichtern abzubilden.[5] Pahlavis Gemälde entziehen sich meist der konkreten räumlichen Verortung und sind wie Traumsequenzen zu lesen, in denen sich verschwommene Stellen mit figürlich-realistischen Elementen abwechseln.

Alexej Tchernyi (*1976) ist der einzige nicht malerisch arbeitende Künstler des Aambulanz Kollektivs. Statt eines Pinsels nutzt er verschiedene skalpellartige Werkzeuge, um die Papierschichten eines Blattes so zu bearbeiten, dass ein mit bloßem Auge kaum sichtbares Relief entsteht. Vor eine Lichtquelle gehalten treten jedoch die dünneren Papierschichten leuchtender hervor und setzten sich gegen die dickeren und somit dunkleren ab. Es entsteht ein an Rembrandt erinnerndes Chiaroscuro, das die fein modellierten Gesichter meisterhaft erleuchten lässt.

Alex Tennigkeit (*1976) präsentiert das großformatige Gemälde eines Jungen mit sichtbar verlaufenden Gefäßbahnen, der sich als Sonnengott Helios mit dem barock inszenierten blutroten Feuerball verbindet. Die „Ninjago“-Shorts und der zu seinen Füßen platzierte Pokémon ergänzen das Weltallbild zu einem persönlich codierten Sinnbild. In weiteren in der Ausstellung gezeigten Abbildungen junger Frauen beschäftigt sie sich mit der Selfie-Kultur in den sozialen Medien sowie mit Fremd- und Selbstwahrnehmung.

Die von Wu Zhi (*1972) dargestellten Kinder und Jugendlichen erscheinen androgyn in klassischer Pose im Dreiviertelprofil mit übereinandergelegten Händen und historisch anmutenden Kopfbedeckungen, als attraktive Engel, maskiert, als Allegorie oder Rückenfigur. Ihre klassisch-feinmalerische Maltechnik, die sich vor allem in der Modellierung der Gesichter, der Ausarbeitung von Lichtreflexen und Schattenwürfen sowie in der Ausführung als Tondi zeigt, trifft auf modern Gegenständliches.

Nicht selten sind die eigenen Kinder die Modelle der Künstler*innen des Aambulanz-Kollektivs und die Heranwachsenden, um dessen Zukunft sich die Mitglieder des Kollektivs am meisten sorgen. Doch ist den Portraits anzumerken, dass es nicht nur um das bloße Abbilden von bestimmten Personen geht. Wie geht es Kindern heute? Wie fühlt es sich heute an Teenager zu sein? Wie wirkt sich das omnipräsente Fotografieren und Fotografiert-Werden aus? War die Zeit vor 30 Jahren wirklich unbeschwerter? Die Ausstellung stellt große Fragen und zeigt großartige Bilder – die Antworten stehen noch aus.

[1] Die Textzeilen stammen aus dem Lied Smells Like Teen Spirit der US-amerikanischen Band Nirvana, das 1991 als erste Single-Auskopplung aus dem Album Nevermind veröffentlicht wurde und als eines der wichtigsten Lieder der 1990er-Jahre gilt.

[2] In den letzten Jahren gab es zahlreiche Kollektivneugründungen und auch die wichtigsten künstlerischen und kuratorischen Auszeichnungen wurden erstmals an Kollektive vergeben: Die New Yorker von DIS  kuratierten 2016 die 9. Berlin Biennale, das nordirische Array Collective wurde  2021 mit dem Turner-Preis ausgezeichnet und die indonesische Künstlergruppe ruangrupa kuratierte jüngst die fünfzehnte Ausgabe der documenta. Vgl. Mader, Rachel: Das Kollektive in der Kunst zwischen Autor*innenschaft, Arbeitsorganisation, Systemkritik und Gesellschaftsentwurf. DeGruyter, 2022. Online abgerufen unter https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/jlt-2022-2021/html?lang=de am 23.11.2022.

[3] Englischer Originaltitel der Sciene-Fiction-Film-Trilogie „Zurück in die Zukunft“ (1985, 1989 und 1990 erschienen), bei der Robert Zemeckis Regie führte. Der Teenager Marty McFly, gespielt von Michael J. Fox, sein Freund Dr. Emmett L. „Doc“ Brown , gespielt von Christopher Lloyd, starten ihre Zeitreise 1985, von wo aus sie mit einer selbst entworfenen Zeitmaschine zunächst 30 Jahre zurück springen, ehe sie mehrmals etliche Jahrzehnte nach vorne und dann wieder zurück reisen.

[4] Vgl. dazu: Afonso, Belén, Wie die künstliche Intelligenz Dall-e 2 die Kunstwelt verändert. In: AD Magazin. Online abgerufen unter https://www.ad-magazin.de/galerie/dall-e-2-kuenstliche-intelligenz am 30.11.2022.

[5] Auch Heinrich Böll nutzt in seinem Roman „Ansichten eines Clowns“ einen Clown als Protogonisten, um die Ambiguität dieser Figur und die gesellschaftlichen Konflikte der Zeit abzubilden. Vgl. Böll, Heinrich, Ansichten eines Clowns, 1963.

Bildnachweis: Installationsansicht „Back to the Future“, 2023


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