25. Oktober – 15. Dezember 2024
P26, Paul-Clemen-Museum der Universität Bonn


Aspekte künstlerischer KI-Forschung in den Arbeiten von Kristina Lenz & Alex Simon Klug

    Unter dem Titel i can’t believe how beautiful this is zeigen die Künstler*innen Kristina Lenz & Alex Simon Klug Arbeiten, die in Auseinandersetzung mit KI-Bildgeneratoren entstanden sind. Die Ausstellung findet in den neuen Räumlichkeiten des Paul-Clemen-Museum im P26 statt und sucht den Dialog mit der Gipsabguss-Schausammlung, die vom Kunsthistorischen Institut der Universität Bonn seit 1902 aufgebaut wurde. Ausgangspunkt für die studentisch kuratierte Ausstellung war ein Seminar von Prof. Dr. Birgit Mersmann (Professorin für Zeitgenössische Kunst und Digitale Bildkulturen an der Universität Bonn) zum Thema KI-gestützte Kunst. Zwischen Datensatzästhetik und Hyperrealismus.

    Kristina Lenz & Alex Simon Klug begreifen ihre künstlerische Praxis als eine medienarchäologische. Diese gestaltet sich als spielerische Forschung mit KI-Programmen, ihren Funktionsweisen und Problematiken. Deren visuelle Spuren werden archäologisch materialisiert, indem die Künstler*innen „Fundstücke“ produzieren, welche die Anmutung von Relikten einer (nahen) Vergangenheit evozieren.

    Die Ausstellung stetzt sich aus fünf Komponenten zusammen: drei Arbeiten der Künstler*innen sowie KI-generierten Bildresultaten von Studierenden aus dem Seminar am KHI und einem Objekt aus der Sammlung des Paul-Clemen-Museum das dezidiert in das Ausstellungskonzept eingebunden wird. Es bestimmen zwei zentrale künstlerische Arbeiten die thematische Ausrichtung: die Exponate aus der Serie The Hands Problem sowie die titelgebende Arbeit i can’t blieve how beautiful this is, die eigens für die Räumlichkeiten geschaffen und als Intervention in die Sammlungspräsentation konzipiert wurde.

    The Hands Problem beschäftigt sich mit der Schwierigkeit von KI-Bildgeneratoren, Hände anatomisch richtig dazustellen. Die Behandlung von Händen stellte im europäischen Kunstschaffen über einen langen Zeitraum ein zentrales Betätigungsfeld dar. Anhand dessen wurden künstlerische Fähigkeiten der Abbildung gemessen, Ausdrucksfähigkeiten abgelesen sowie komplexe Fragen nach Urheberschaft gelöst. Noch bis vor kurzem diente die anatomisch nicht korrekte Darstellung der Hand als Erkennungsmerkmal für ein mittels künstlicher Intelligenz generiertes Bild. Inzwischen wurden viele Programme angepasst und die Anzahl von fünf Fingern als Norm gesetzt, was jedoch zur Folge hat, dass keine Abweichungen mehr zugelassen werden. Neue Schwierigkeiten liegen nun einerseits in der Darstellung von Handgesten mit einzelnen Fingern, während andererseits Hände mit abweichender Anatomie als nicht menschlich gelesen werden. Klug und Lenz begreifen die unzulänglichen, aus der Norm fallenden KI-Darstellungen von Händen als eine Art Evolutionsstufe der hoch beschleunigten technologischen Entwicklung von Kl. Den so erstellten, normabweichenden Händen wurde durch den Einsatz von 3D-Software am Computer eine dritte Dimension hinzugefügt, die dann als Gussform gefräst wurde. So entstanden Reliefs der KI-Hände aus Beton, die ein flüchtiges Phänomen fortschreitender Optimierung aus dem digitalen Raum in ein neues greifbares Medium übertragen und materiell dokumentieren. Sie führen uns vor Augen, dass wir aus diesen historischen Entwicklungsformen zentrale Eigenschaften der maschinellen Intelligenz verstehen können: darüber, wie sie Konzept und Bild miteinander verknüpft, die auf einer äußerst oberflächlichen Ebene der menschlichen materiellen Erfahrung diametral entgegensteht. Hier werden Prozesse sichtbar, die mit zunehmender Perfektionierung der generativen künstlichen Intelligenz unsere Wahrnehmung von Dingen und Repräsentationen bald völlig täuschen könnten, während wir der stetigen Hinterfragung und Reflexion unseres Sehens ausgesetzt sind.

    Den Reliefs der mittels KI geformten Hände der Künstlerinnen ist das Fragment einer Hand aus der Sammlung des Paul-Clemen-Museum gegenübergestellt, das ebenso einen historischen Moment der Bilderzeugung repräsentiert. Die Hand gehörte bis zum Bombeneinschlag im Institut im Oktober 1944 zum Gipsabguss einer der Stifterinnenfiguren aus dem Naumburger Dom. Vermutlich stellt das Standbild aus den 1240er Jahren Gräfin Berchta († 1089) dar, die zu einem Bildnis frommer Gelehrsamkeit idealisiert wurde. Der Eindruck ergibt sich maßgeblich aus der realistischen und ausdrucksstarken Darstellung und wird in der feingliedrigen Hand mit zwei Fingern zwischen den Seiten eines Buches vermittelt. Zu dieser Zeit beginnt sich der Wert künstlerischer Fertigkeit an überzeugend naturalistischer Darstellung zu bemessen – eine Entwicklung der europäischen Kunstgeschichte, welche die KI ästhetisch verinnerlicht hat, doch deren Anspruch sie zuweilen noch nicht gerecht werden kann.

    In der neuen Arbeit i can’t believe how beautiful this is von Kristina Lenz & Alex Simon Klug wird das Beziehungsgeflecht von Sprache und Bild der KI-Hände um das Schriftbild erweitert. Der titelgebende Ausruf bezieht sich auf die zentrale Praxis der Bildgestaltung mittels künstlicher Intelligenz – das sogenannte Prompting. Obwohl die Technik von Laien ohne Vorkenntnisse in ihren Grundzügen bedient werden kann, hat sich in Online-Foren eine eigene Disziplin entwickelt, um Textbefehle zu finden, die möglichst genau das gewünschte Bildresultat erzeugen, auch wenn das Ergebnis nie ganz kalkulierbar ist. Sehr beliebt ist der Prompt „i can’t believe how beautiful this is“, um eine bestimmte Ästhetisierung von Darstellungen zu erzielen. Das angesprochene Schönheitsverständnis der KI lässt sich auf mathematische Wahrscheinlichkeiten zurückführen, welche sie aus ihren Metadaten extrahiert. Diese starre Definition von Schönheit führt nicht nur den individuellen Begriff sinnlicher Erfahrung oder gar die komplexe Philosophie der Ästhetik ad absurdum, sondern ist schon in der Grundannahme zutiefst problematisch.
    In der Arbeit von Klug und Lenz wird dieser Zusammenhang mit einer weiteren Schwierigkeit der KI verknüpft: Ihre Unfähigkeit, Schrift in Bildern adäquat darzustellen. Stattdessen zeigen KI-Bilder gerne eine Anmutung von Schrift, die also schriftliche Symbole auf Bildern rein ästhetisch begreift, nicht aber als Träger von Sprache. Die für uns natürliche Beziehung von Sprache und Schrift muss die KI erst noch lernen. Das KI-generierte Schriftbild des Prompts „i can’t believe how beautiful this is“ wirkt wie Glyphen einer vergessenen Zeit, die schwer entzifferbar sind. Das einfassende Relief spielt mit den Anklängen historischer Kunstformen ohne dabei einzelne Motivfetzen in einen schlüssigen Bildzusammenhang zu setzen. Die Darstellung wird von den Künstler*innen mittels 3D-Druck in ein physisches Medium übertragen, das mit dem Eindruck von Marmor und Inschrift spielt. Diese Zusammenstellung von Schrift und haltbarem Material ist in der Kulturgeschichte ein Motiv, mit dem Macht kommuniziert und ausgeübt wird; und das bis heute nichts von seiner Wirkkraft verloren hat. Der hier dargestellte Effekt der Machtausübung wird jedoch durch die erkennbar fehlerhaften Buchstaben und die absurde KI-Ästhetik der Motive gebrochen. Diese zeigen nicht mehr die Formen des von Hand geführten Gerätes, sondern eine Illusion von Schrift und Bild, die auf der algorithmischen Annäherung an die lateinische Schriftästhetik und kunsthistorischen Vorlagen beruht.

    Ergänzt werden diese beiden Arbeiten durch das selbstpublizierte Künstler*innenbuch The Symbols The Signs. Als fortlaufende Sammlung dokumentiert es die künstlerische Herangehensweise und den experimentellen Umgang mit postfotografischen Medien. Es wird eine Praxis sichtbar, die sich an der Schnittstelle von Körperlichkeit und körperlicher Auflösung bewegt. Zwischen Sprache, Schrift und Bild befragen Klug und Lenz die Möglichkeiten neuer bildnerischer Werkzeuge; suchen und finden Darstellungsformen, die unseren historischen Moment in dieser Hinsicht visuell repräsentieren. Künstliche Intelligenz wird hier nicht nur als Werkzeug eingesetzt, sondern erforscht und in die Arbeit eingebettet.

    Neben den Arbeiten des Künstler*innenduos wird das übergreifende Thema der Bildproduktion mittels generativer KI durch Bildexperimente von Studierenden des KHI vermittelt. Sie zeigen, wie mit einfachen Textbefehlen in Sekundenschnelle komplexe Darstellungen erzeugt werden können. Die Beispiele thematisieren die der KI eigene Ästhetik, aber auch den unüberschaubaren kulturellen Kontext, der in Form der Kunstgeschichte und ihrer historischen Stilmerkmale deutlich wird. Unter anderem gibt hier die Frage nach dem Urheberrecht Diskursen über Glaubwürdigkeit, Originalität und Herkunft von Bildern eine völlig neue Wendung. Die mittels KI generierten Bilder zeugen von der inhaltlichen Entleerung und völlig oberflächlichen Wiedergabe bestimmter Ästhetiken – welche die komplexen Hintergründe und Ontologien ihrer Entstehung nicht ansatzweise einbezieht. Zugleich werden durch die Verwendung gezielter Schlagworte bei der Generierung problematische Vorurteile des Programms sichtbar, das aktuelle Diskurse unreflektiert im Bild reproduziert.

    Die Exponate eröffnen ein Spannungsfeld unterschiedlichster Themen, das gerade durch das Paul-Clemen-Museum mit der Gipsabguss-Sammlung des KHI einen Assoziationskontext der Historizität erfährt. Aspekte der Beziehung eines Motivs zu seiner Bedeutung verstärken sich vor dem Hintergrund der Lehre der Ikonografie der Kunstgeschichte. Wie die Kunst immer schon auf Bisheriges zurückgriff, dabei Neues erfand und in eine nachvollziehbare Entwicklung eintrat, schöpft auch die Praxis der Bilderstellung mittels Textbefehl aus etwas bereits Vorhandenem. Wie die Stücke der Sammlungspräsentation Reproduktion und Ausschnitt eines ungleich komplexeren Kosmos darstellen, sind die Hände ein Moment des Innehaltens und Fixierens einer ständig sich entwickelnden Bilderwelt und werden als Reliefs in diese Tradition eingeschrieben. Die von einer KI erschaffenen Bilder, in denen bspw. die Hand völlig ihrer Funktion enthoben ist, vermitteln dabei, dass seit der frühsten Kunst immer schon die Erscheinung von etwas Abwesendem beschworen wurde; dass ein Abbild immer durch seinen Kontext bestimmt wird. Die romantische Annahme von der Vervollständigung von Kunst in der Betrachtung wird mit den Darstellungen künstlicher Intelligenz auf die Spitze getrieben, da sie in sich keine vielschichtige Botschaft vermitteln. Durch die künstlerische Motivwahl und die Umsetzung in tradierten und würdevollen Darstellungsformen werden die Bezüge vielfältig. So verweist die noch erkennbare Hand auf Evolution, kulturelle Praktiken, Religiosität; die Inschrift auf überzeitliche Kommunikation und fortschrittliche sprachliche Entwicklung. Die Deutung lässt sich nicht abschließen, und wir bleiben gefangen zwischen der würdevollen Materialität der Objekte und ihren undurchsichtigen immateriellen Digitalkontexten.

    Die motivischen Verweise betonen eine historische Entwicklung, deren aktuelle mediale Erfindung die generative künstliche Intelligenz darstellt. Gerade die Hand, aber auch die Inschrift, welche Sprache und Hand in Beziehung zueinander stellt, wird mit handwerklicher Fertigkeit und kultureller Produktion assoziiert. Die über Jahrtausende tradierte Beziehung der Hand zum Denken befindet sich schon seit der Industrialisierung im Umbruch; eine Entwicklung, die mit der Digitalisierung und der KI neue Tendenzen zeigt und in weitere Lebensbereiche dringt. Während das neue Werkzeug zwar einerseits die Fortsetzung einer historischen Entwicklung ist, stellt es andererseits die autonome künstlerische Gestaltung durch menschliche Akteurinnen endgültig infrage und bringt – über den Black-Box-Effekt – eine neue Art medialer Transzendenz ins Spiel. Indem die Künstlerinnen diese Brüche und Kontinuitäten in Beziehung miteinander setzen, definieren sie die KI als ein neues künstlerisches Medium, das völlig neue Bedingungen schafft, denen es sich zu stellen gilt. In dieser Materialisierung fortlaufender Prozesse und Entwicklungen schauen wir zugleich in die Vergangenheit und in die Zukunft. Wie bestimmen Bildtraditionen der Vergangenheit unsere Gegenwart? Und wie wird unser Sehen in Zukunft von den Eigenschaften dieses neuen Mediums geformt? Was passiert mit der Beweiskraft von Bildern? Und welche neuen Interpretationsprozesse erfordern sie?

    Die Objekte materialisieren abstrakte Vorgänge einer rasanten Entwicklung, die bereits jetzt unsere alltägliche Wahrnehmung und auch die Stilentwicklung der Kunst nachhaltig prägen. Sie reihen sich in dieser Beziehung in die Sammlung des KHI ein, welche anhand von Abgüssen einiger Werke der Kunstgeschichte umfassende historische Entwicklungen vermitteln. Könnten die Arbeiten von Kristina Lenz & Alex Simon Klug damit nicht folgenden Generationen von Kunstgeschichtsstudierenden in Bonn vor Augen führen, wie in diesem formierenden Moment der KI-Entwicklung Bedingungen geschaffen wurden für zukünftige Formen der Bildenden Kunst?

    Kuratorisches Team: Hyejin Byun, Helena Kuhlmann, Leonie Cecilia Pietrovicci, Cihan Simsek und Fabian Wilczek.
    In Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Birgit Mersmann (Professorin für Zeitgenössische Kunst und Digitale Bildkulturen, Kunsthistorisches Institut der Uni Bonn) und der Ausstellungsgruppe.

    Die Ausstellung wird gefördert durch den Asta und das Studienparlament der Universität Bonn.

    Bildnachweis: Kristina Lenz & Alex Simon Klug, i can’t believe how beautiful this is, 2024, Gipsabguss


    P26
    Paul-Clemen-Museum

    der Universität Bonn
    Poststraße 26, 2. OG
    53111 Bonn

    (Visited 4 times, 1 visits today)