8. März bis 16. Juni 2024

Kunsthalle Mainz


Presserundgang: 7. März um 11 Uhr

Eröffnung 7. März um 19 Uhr

Welche Art von Schule lehrt dich, was du schon immer wissen wolltest, dir aber im wirklichen Leben niemand sagt? Welche Art von Schule spricht die Themen an, die mit Sexualität und Sicherheit verbunden sind? Das sind einige der Fragen, die Yanna Rüger, Daniel Cremer und melanie bonajo dazu veranlassten, sich gemeinsam mit dem Team des Theaters HORA auf einen Weg der Ent- und Neuschulung zu begeben. Darin beleuchten sie zusammen den Begriff der Intimität in all seinen Facetten. Das Ergebnis ihrer Reise ist ein immersiver Installationsraum, der sich ausgehend der Videoarbeit von melanie bonajo entwickelt und zugleich den Rahmen für Workshops und ein Theaterstück (Regie Daniel Cremer & Yanna Rüger) bildet. Performer*innen des HORA-Ensembles sind zu Expert*innen ihrer eigenen Lust geworden und vermitteln als phantastische Lehr-Avatare Wissen und sinnliche Erfahrungen rund um das Thema Liebe, Intimität und Sexualität. Eine humorvolle, einfühlsame, ermächtigende, genre- und genderübergreifende Erfahrung, die Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen anspricht.Das Theater HORA aus Zürich ist eine der bekanntesten freien Tanz-, Theater- und Performancegruppen der Schweiz. Seit 2003 ist das Theater HORA auch eine (Kultur-) Werkstatt für Menschen mit sogenannten „kognitiven Beeinträchtigungen“. melanie bonajo (they/them) ist Künstler*in, Filmemacher*in, queere Ökofeminist*in, sexologische Körperarbeiter*in, somatische*r Sexualtrainer*in und -pädagog*in, Kuschelworkshop-Leiter*in und Tierrechtsaktivist*in. In Videos, Installationen und Fotografien, oft in Zusammenarbeit mit Gruppen und Gemeinschaften, erforscht melanie bonajo Fragen des Zusammenlebens, der Erosion von Intimität und Isolation in einer zunehmend sterilen, technologischen Welt. Die immersive Installation wurde von den Szenograph*innen von Touche Touche entworfen.Neben Schule der Liebenden sind in Mainz die beiden Video-installationen TouchMETell (2019) & Progress vs Sunsets – Re-formulating the Nature Documentary (2017) zu sehen. In beiden Arbeiten sind melanie bonajos Protagonist*innen eine Gruppe von Kindern. In TouchMETell erforscht bonajo spielerisch zusammen mit Kindern zwischen sechs und acht Jahren, wie diese ihren eigenen Körper und den körperlichen Kontakt mit anderen erleben. Kinder wie Erwachsene sind eingeladen, über Intimität, ihre Grenzen und ihr Körperbewusstsein nachzudenken und zu sprechen. Der Film Progress vs. Sunsets veranschaulicht, wie sich unser Verhältnis zur Natur durch die Popularisierung von Amateur-Naturfotografie und -film im Internet verändert hat. Die Arbeit, die in einer mit Théo Demans entwickelten Installation gezeigt wird, ist der zweite Teil einer Trilogie, die das Aussterben und die Bedrohung gefährdeter Gruppen durch die Entwicklung des Technokapitals untersucht, aber auch das Aussterben in einem abstrakten Sinne, das Aussterben von Gefühlen und Gedankenformen. Durch die Augen und die Stimmen von Kindern kommen scheinbar mühelos komplizierte Themen zur Sprache: Tierrechte, Biopolitik, schwindende Ressourcen, Ökologie, Anthropomorphismus und die Auswirkungen dieser Ethik auf die menschlichen Wünsche, Emotionen, Emotionalität und Sentimentalität gegenüber „den Anderen“.Nach der Uraufführung der Performance und des Filmes im Dezember 2023 in der Zürcher Shedhalle geht die Forschungsreise, auf die sich die Schule der Liebenden macht, weiter. Ende Mai treffen sich alle Beteiligten in Mainz wieder, um mit dem hiesigen Publikum zusammen zu kommen, und damit einen weiteren Schritt auf dem Weg zu einer globalen Liebesschule für Menschen mit und ohne Beeinträchtigung zu voranzugehen. 


Philipp Gufler Dis/Identification

8. März bis 16. Juni 2024

Kunsthalle Mainz

Im Zentrum von Philipp Guflers künstlerischer Arbeit stehen Bilder und Geschichte(n) queeren Lebens – heute und in der Vergangenheit. Historische Persönlichkeiten, Entwicklungen und einschneidende Ereignisse aus unterschiedlichen Zeitspannen treten in einen Dialog und erzählen eine intersektionale queere Geschichte. Seine Quellen findet Gufler in historischen Archiven, Zeitungen, Radio und Fernsehen, seine Referenzen stammen aus der Literatur und den ästhetischen Praktiken von LGBTQI+ Bewegungen, aus der Queer-Theorie sowie der Popkultur. Gufler reflektiert diese in Filmessays, aber auch in Performances und Bildobjekten, in Malereien auf Spiegeln oder in Siebdrucken auf Stoffen, die sogenannten Quilts mit mittlerweile 53 Textilien, die queeren Menschen, Bewegungen und Orten gewidmet sind. In seiner bis dahin größten Einzelausstellung in der Kunsthalle Mainz zeigt der Künstler ausgehend von der neuen Videoinstallation The Beginning of Identification, and its End einen Überblick über sein Schaffen der letzten Jahre. Guflers Arbeiten gehen immer einher mit der Einladung zu Begegnungen: Visionäre, mutige, kontroverse Persönlichkeiten sind die Protagonist*innen seines künstlerischen Projekts. Da gibt es beispielsweise den Juristen Karl Heinrich Ulrichs, der 1867 als erster öffentlich die Aufhebung der Anti-Homosexuellen-Gesetze forderte; den Künstler Paul Hoecker, Mitbegründer der Münchner Secession, der durch eine Madonnendarstellung, für die er einen jungen Sexarbeiter porträtiert haben soll, seine Professur an der Münchner Kunstakademie aufgeben musste. Wir lernen die Feministin und Sexualwissenschaftlerin Charlotte Wolf kennen, die in den 1930er-Jahren in den surrealistischen Kreisen von Paris verkehrte; oder die Münchner Künstlerin Cosy Piéro, die bis 1980 den Szenetreffpunkt Bei Cosy betrieb und mit der Philipp Gufler ein freundschaftliches Verhältnis pflegte. Und wem sagt Lana Kaiser etwas? Das Pop-Phänomen der Nullerjahre ist den meisten, entgegen dem Wunsch der Sängerin, u.a. als Daniel Küblböck bekannt. Ferner beschäftigte sich Gufler mit den Anfängen der AIDS-Krise in Deutschland und der Verfolgung queerer Menschen während des Nationalsozialismus. Oral-History-Recherche und die Zusammenarbeit mit anderen Expert*innen stehen dabei an der Tagesordnung, aktuell z.B. mit dem Münchner Historiker Alfred Knoll, der als langjähriger Mitarbeiter der KZ-Gedenkstätte Dachau die Schicksale der queeren Häftlinge erforscht. Das Archivieren, Dokumentieren und Vermitteln liegt im Kern von Guflers Tätigkeit als Mitbetreiber des Forum Queeres Archiv München und prägt ebenso seine künstlerische Praxis, die neben Videoinstallationen, Textilarbeiten, Objekten oder Drucken auch kuratorische und diskursive Projekte beinhaltet. Gufler erzählt nicht einfach nur die Geschichte „seiner Held*innen“. Seine Annäherungen bieten immer auch Raum für die Schattenseiten und das Kontroverse. Es geht um Identifikation aber eben auch um „Desidentifikation“ – um die Grenzen queerer Identifikationskategorien, wie Gufler in seiner neuesten, in Mainz erstmals gezeigten Videoinstallation The Beginning of Identification, and its End thematisiert. Die mitreißende Filmcollage und die ihr gegenübergestellte Performance von Gufler selbst – ein Ausdauer-Experiment nach Vorlage einer Performance des Künstlers Ben d’Armagnac vor dem Brooklyn Museum von 1978 – zeigt den dünnen Grat zwischen Sichtbarkeit und Verletzlichkeit, zwischen Emanzipation und Distanzierung, etwa wenn er Aussagen von ultrarechten homosexuellen Politiker*innen wie Alice Weidel oder Pim Fortuyn in die Collage mischt. Queere Emanzipation, will Gufler sagen, kann nicht losgelöst von anderen politischen Kämpfen gesehen werden.

Bildnachweis: Melanie Bonajo: Schule der Liebenden, 2023, full HD single channel video with sound, 38:46 min. produced in coll. with HORA Theatre Zurich, Courtesy the artist & AKINCI.


Kunsthalle Mainz
Am Zollhafen 3-5
55118 Mainz
06131/126936
www.kunsthalle-mainz.de

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