10. Oktober 2024 bis 12. Januar 2025
Städel Museum


Frankfurt, Das Städel Museum präsentiert die großen Meister der Zeichenkunst des italienischen Barocks. Für die Brüder Agostino und Annibale Carracci, Guercino, Stefano della Bella oder Gian Lorenzo Bernini war das Zeichnen ein zentraler Bestandteil ihrer künstlerischen Arbeit. In ihren Zeichnungen legten sie nicht nur die Grundlagen für ihre Gemälde, Skulpturen oder Druckgrafiken, sondern stellten auch die Eigenständigkeit des Mediums unter Beweis. Die mit Feder und Pinsel, schwarzer Kreide oder Rötel ausgeführten Blätter sind Skizzen, Studien oder präzise Einzelwerke. Sie beeindrucken durch ihre schwungvolle Linienführung, ihr dramatisches Hell-Dunkel und ihre außergewöhnliche Ausdruckskraft. Parallel zur Buchmesse mit dem diesjährigen Gastland Italien zeigt das Städel Museum vom 10. Oktober 2024 bis zum 12. Januar 2025 in einer Ausstellung 90 dieser bemerkenswerten italienischen Barockzeichnungen aus der eigenen Sammlung und lädt zu einer intimen Begegnung mit den künstlerischen Handschriften einer vergangenen Epoche ein.

Die wissenschaftliche Bearbeitung der Zeichnungen wurde ermöglicht durch die großzügige Förderung der Frankfurter Stiftung Gabriele Busch-Hauck. Im Rahmen eines mehrjährigen Forschungsprojekts konnten zahlreiche neue Erkenntnisse zu einzelnen Künstlern und ihrer Arbeitsweise, zu den dargestellten Themen und verwendeten Techniken sowie zeitgenössischen und späteren Sammlern gewonnen werden.
Das 17. Jahrhundert war in Italien eine Zeit der Veränderungen. Die Kunst des Barocks setzte auf Bewegung und Dynamik, Kontraste und das Spiel von Licht und Schatten. Diese Merkmale sind nicht nur in den Gemälden und Skulpturen, sondern auch in den Zeichnungen der Zeit zu beobachten. Die Künstler studierten Einzelmotive, Figurengruppen, Haltungen, Gewänder und Bewegungsabläufe. Sie zeichneten nach der Natur, entwickelten komplexe Bilderzählungen und schufen Entwürfe für großformatige Werke. Die emotionale Bandbreite reicht von zarten und introspektiven bis hin zu ekstatischen, expressiven und teils grausamen Darstellungen. Die Arbeiten auf Papier bildeten vielfach die Grundlage für Gemälde, Skulpturen oder Druckgrafiken und verweisen auf den Austausch zwischen Künstlern und Auftraggebern. Sie sind daher nicht nur Ausdruck individueller künstlerischer Kreativität, sondern auch ein Spiegel größerer kultureller Zusammenhänge.

Philipp Demandt, Direktor Städel Museum, über die Ausstellung: „Unser Museumsgründer Johann Friedrich Städel war ein leidenschaftlicher Sammler von Zeichnungen – mehr als 4600 Zeichnungen gingen in den Museumsbestand über. Ein großer Teil der in der Ausstellung präsentierten italienischen Barockzeichnungen stammt aus seiner Sammlung. Durch weitere Erwerbungen und Schenkungen wurde dieser Bestand vor allem nach 1900 erweitert. Dank der großzügigen Unterstützung der Frankfurter Stiftung Gabriele Busch-Hauck ist es uns gelungen, 90 Zeichnungen wissenschaftlich zu erforschen und dabei Fragen nach Autorschaft, Arbeitsweise, Technik und Themenspektrum zu klären. Pünktlich zum Ehrengastauftritt Italiens auf der Frankfurter Buchmesse freuen wir uns, diese Auswahl herausragender Werke der Zeichenkunst des italienischen Barocks der Öffentlichkeit vorzustellen.“

Astrid Reuter, Sammlungsleiterin für die Graphische Sammlung bis 1800 im Städel Museum, erläutert: „Die Faszination der Zeichenkunst liegt in der Vielfalt ihrer Ausdrucksmöglichkeiten. Betrachtend werden die Besucherinnen und Besucher Zeugen eines kreativen Prozesses, der von der beiläufigen Skizze bis zum ausgearbeiteten Werk reicht. Im Umgang mit Kreide, Feder oder Pinsel zeigt sich die Sicherheit der künstlerischen Ausführung, wird aber auch das Zögern, Verwerfen und Neubeginnen sichtbar. Die Bearbeitung der hier vorgestellten Auswahl italienischer Barockzeichnungen basiert auf einer breiten Kennerschaft, zu der viele Kolleginnen und Kollegen aus dem In- und Ausland beigetragen haben. Das Städel Museum erweist sich mit diesem Projekt einmal mehr als lebendiger Ort des Sehens, des Austausches und der Forschung.“

Schwerpunkte der Ausstellung

Die Ausstellung gestaltet sich als ein Rundgang durch die wesentlichen geografischen Zentren der barocken Zeichenkunst Italiens. Die beiden wichtigen Kunstzentren Bologna und Rom sind mit zahlreichen Werken vertreten, ihnen folgt Florenz, während Genua, die Marken und Neapel anhand weniger Beispiele vorgestellt werden. Nicht berücksichtigt ist Venedig, dem 2006/2007 mit „Von Tizian bis Tiepolo. Die venezianischen Zeichnungen des 15. bis 18. Jahrhunderts aus der Graphischen Sammlung im Städel Museum“ eine eigene Ausstellung gewidmet worden war. Durch eine offene Ausstellungsarchitektur wird ein inspirierender Dialog zwischen den verschiedenen Schulen sowie ein Vergleich der künstlerischen Ausdrucksformen und Techniken und dargestellten Themen möglich.

      Bologna gilt bis heute als eines der bedeutendsten Zentren der italienischen Barockkunst. Hier wirkten die Brüder Annibale (1560–1609) und Agostino (1557–1602) Carracci sowie ihr Cousin Ludovico (1555–1619), die mit ihrer Accademia degli Incamminati (Akademie der auf den rechten Weg Gebrachten) eine Reform der Kunst einleiteten. In Abgrenzung von den Manierismen der zeitgenössischen Kunst strebten sie nach größerer Wahrhaftigkeit und rückten das Naturstudium ins Zentrum ihrer Tätigkeit. In Agostino Carraccis Studien zu einem heiligen Hieronymus (um 1600/1602) kann der Betrachter den Künstler förmlich bei seiner Suche nach einer kompositorischen Lösung beobachten. Der muskulöse Körper des Heiligen wird in drei verschiedenen andächtigen Haltungen dargestellt. In Amor, die Flöte spielend, und Silen in arkadischer Landschaft (um 1597–1600) von Annibale Carracci ist die Lichtwirkung von mittäglicher Hitze und kühlendem Schatten so eindrucksvoll dargestellt, dass sie nahezu spürbar wird. Der Amorknabe bläst selbstversunken auf seiner Panflöte, während der Silen, der ihm gegenübersitzt, sein Instrument an einen Ast gehängt hat und zu lauschen scheint. Neben den Carracci war Guercino (1591–1666) einer der produktivsten Zeichner in Bologna. Seine einfühlsame Ausdruckskunst wurde von Johann Friedrich Städel besonders geschätzt, wie die große Zahl der Erwerbungen von einst dem Künstler zugeschriebenen Werken zeigt.

      Größe und Schönheit der Stadt Rom verwiesen auf die päpstliche Vormachtstellung in der Welt. Im 17. Jahrhundert wurden enorme Summen in die Errichtung und Ausstattung von Kirchen und Palästen investiert und die besten Künstler für die Ausführung der Kunstwerke herangezogen. Die Stadt war eine riesige Baustelle. Architekten, Maler und Bildhauer strömten aus vielen Ländern und aus ganz Italien in die Kunstmetropole. Zu den herausragenden Künstlern dieser Zeit zählt Gianlorenzo Bernini (1598–1680), der aus Neapel stammte und durch die Förderung der Herrscherfamilie Barberini zu Ruhm gelangte. Sein Männliches Porträt im Dreiviertelprofil nach rechts (ca. 1635) zeigt einen selbstbewussten jungen Mann, dessen fein modellierte Gesichtszüge auf dem braun eingefärbten Papier von großer Klarheit und Ernsthaftigkeit zeugen. Dieses Porträt verdeutlicht, dass Bernini, der heute vor allem als Bildhauer und Architekt bekannt ist, auch als Zeichner überzeugte.
      Ähnlich erfolgreich wie Bernini war auch der aus der Toskana stammende Pietro da Cortona (1596?–1669). Die breite Wirkung seiner auf Pathos und Bewegung zielenden Kunst zeigt sich im Werk zahlreicher Künstler seines Umkreises. Andrea Sacchi (1599–1661) und der von ihm ausgebildete Carlo Maratti (1625–1713) hingegen setzten auf Einfachheit und Klarheit der klassischen Kunsttradition. Auch diese Künstler fanden eine breite Nachfolge. Hervorzuheben ist ein Werk von Guiseppe Passeri (1654–1714), einem der bevorzugten Schüler Marattis: Zwei Heilige, der heilige Andreas und ein Ritterheiliger, von einem Engel als Märtyrer gekrönt. Das Blatt beeindruckt durch seine malerische Wirkung, die durch die rote Einfärbung des Papiers und die malerische Ausführung des Motivs mit dem Pinsel verstärkt wird. Über der Zeichnung liegt ein Liniennetz, eine sogenannte Quadrierung, die der Übertragung der Komposition in die Malerei diente. Sie zeigt, dass der Künstler die Darstellung als vollendet betrachtete.

      In Florenz erlangte die Zeichenkunst bereits im 16. Jahrhundert unter dem Einfluss von Giorgio Vasari (1511–1574) große Bedeutung. Er gehörte zu den Mitbegründern der ersten Akademie – der Accademia del Disegno –, die den Grundstein für die Künstlerausbildung in Rom, Paris und an anderen Orten legte. Gefördert von der einflussreichen Familie der Medici schufen Künstler wie Jacopo da Empoli (1551–1640) und Stefano della Bella (1610–1664) meisterhafte Werke. Zu den besonders einfühlsamen Werken gehört Cristofano Alloris (1577–1621) Studie eines Knabenkopfes mit Schirmmütze (um 1600), dessen offener und leicht fragender Blick den Betrachter sofort in den Bann zieht.

      Die oberitalienische Region Marken weist vielfältige künstlerische Einflüsse auf und hatte mit Urbino bereits in der Renaissance ein wichtiges Kunstzentrum. Sie ist in unserer Auswahl lediglich durch einen Künstler vertreten: Filippo Bellini, dessen ausschließlich religiösen Werke sich durch ihren klaren Aufbau, eine ausdrucksstarke Gestik und emotionale Eindringlichkeit auszeichnen.

      Die Republik Genua wurde im 17. Jahrhundert „La Superba“ – die Prächtige – genannt. Hier entstanden große Paläste, und die Kunst der Stadt erlebte einen regen Austausch mit anderen europäischen Regionen. Von der produktiven Kunstszene Genuas zeugen die Werke Giovanni Benedetto Castigliones (1609–1664), friedvolle Szenen eines harmonischen Miteinanders von Mensch und Tier in der Natur. Seine Komposition Frau mit Kind auf einem Esel reitend, ein junger Mann zu Fuß nebenher gehend (um 1635–1640) erinnert nur auf den ersten Blick an die heilige Familie auf der Flucht nach Ägypten, es fehlt jede konkrete religiöse Anspielung. Castiglione nutzte eine eigenwillige Technik: Er feuchtete den Pinsel mit Leinöl an, bevor er ihn in das Pigment tauchte. Dies erzeugte eine besondere Wirkung auf dem Papier, da die Ränder der Striche leicht verwischten und durch die unterschiedliche Transparenz und Deckkraft des Pinselauftrags eine besondere Tiefe entsteht.

      Unter der Herrschaft der spanischen Vizekönige entwickelte sich Neapel im 17. Jahrhundert zur drittgrößten Stadt Europas. Der Spanier Jusepe de Ribera (1591– 1652), der 1616 nach Neapel kam und zum Hofmaler des spanischen Gouverneurs ernannt wurde, prägte die Kunstszene. In seiner Werkstatt lernten einige der bedeutendsten neapolitanischen Maler der Zeit. Zu den eigenwilligsten Künstlerpersönlichkeiten gehörte Salvator Rosa (1615–1673). Er war ein leidenschaftlicher Zeichner, dessen unerschöpfliche Fantasie in unzähligen Skizzen lebendig wird.

      Die Graphische Sammlung

      Die Graphische Sammlung im Städel Museum bewahrt über 100.000 Zeichnungen und Druckgrafiken vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart. Dank der hohen Qualität der Blätter gehört sie zu den bedeutendsten Sammlungen ihrer Art in Deutschland.
      Höhepunkte sind neben Werken von Dürer, Raffael oder Rembrandt u. a. nazarenische Zeichnungen, französische Blätter des 18. und 19. Jahrhunderts, Werke von Max Beckmann und des deutschen Expressionismus um Ernst Ludwig Kirchner sowie der US-amerikanischen Kunst nach 1945. Die Sammlungsbestände werden in Sonderausstellungen präsentiert oder im Studiensaal zu den gesonderten Öffnungszeiten vorgelegt.

      FANTASIE UND LEIDENSCHAFT: ZEICHNEN VON CARRACCI BIS BERNINI
      Ausstellung: Fantasie und Leidenschaft: Zeichnen von Carracci bis Bernini
      Kuratorin: Dr. Astrid Reuter (Leiterin Graphische Sammlung bis 1800, Städel Museum)
      Ausstellungsdauer: 10. Oktober 2024 bis 12. Januar 2025
      Pressevorbesichtigung: Dienstag, 9. Oktober 2024, 11.00 Uhr
      Information: staedelmuseum.de
      Besucherservice und Führungen: +49(0)69-605098-200, info@staedelmuseum.de
      Ort: Städel Museum, Schaumainkai 63, 60596 Frankfurt am Main
      Tickets: Di–Fr 16 Euro, ermäßigt 14 Euro, Sa, So + Feiertage 18 Euro, ermäßigt 16 Euro; jeden Dienstag ab 15.00 Uhr 9 Euro; freier Eintritt für Kinder unter 12 Jahren. Gruppen ab 10 regulär zahlenden Personen 16 Euro pro Person. Für alle Gruppen ist generell eine Anmeldung unter Telefon +49(0)69-605098-200 oder
      info@staedelmuseum.de erforderlich.

      Führungen: Überblicksführungen an jedem zweiten und vierten Sonntag im Monat um 14 Uhr / Abendführungen mit der Kuratorin Astrid Reuter donnerstags, 21. November 2024 und 9. Januar 2025 / Atelierkurs für Erwachsene mit Zeichenworskhop am Samstag, 11. Januar 2025, 14 bis 17 Uhr.
      Tickets sind online unter shop.staedelmuseum.de erhältlich. Aktuelle Informationen zu den Überblicksführungen und besonderen Angeboten an den Feiertagen sowie zu den Öffnungszeiten unter staedelmuseum.de

      Katalog: Zur Ausstellung erscheint im Michael Imhof Verlag ein deutschsprachiger Katalog. Mit einem Vorwort von Philipp Demandt und Texten von Stefania Girometti, Sonja Brink, Carel van Tuyll van Serooskerken und Jutta Keddies. Deutsche Ausgabe, 304 Seiten, 39,90 Euro (Museumsausgabe).

      Gefördert durch: Stiftung Gabriele Busch-Hauck

      Bildnachweis: Guercino (Giovanni Francesco Barbieri) (1591—1666), Christus zu Emmaus um 1619


      Städel Museum
      Schaumainkai 63
      60596 Frankfurt am Main
      staedelmuseum.de

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