11. Juni – 14. August 2022

Kunstverein Ludwigshafen


Je mehr die herannahende Klimakrise als existenzbedrohende ökologische Katastrophe in unser Bewusstsein rückt, umso lauter werden die Forderungen nach einem gesellschaftlichen Wandel hin zu Konzepten einer nachhaltigen Lebensgestaltung. Neo-Ökologie bildet die Grundlage einer neuen globalen Identität, die unsere Zukunftsaussichten fest im Blick hält, allerdings auch wirtschaftlich instrumentalisiert. Die Frage, wie wir aktuell und künftig Sorge füreinander tragen können, erfährt in diesem Kontext erhöhte Brisanz: Mangelnde Chancengleichheit, das dauerhaft überlastete Pflegesystem oder der noch immer nicht vorhandene Klimagenerationenvertrag sind nur einige der Seismografen der so oft unstimmigen Balance im Sozialen. Marlies Pöschl entwickelt mit ihren multiperspektivischen Filmen
und Installationen häufig in offenen Formaten des pädagogischen Austausches und kollektiven Arbeitens ein Abbild dieser Bruchstellen konfliktbehafteter Realität. In ihren Werken klingen immer wieder drängende Zukunftsfragen an, darunter auch jene, wie sich die zum Leben benötigten Infrastrukturen, etwa Nahrungsmittelproduktion und CareArbeit, durch den technologischen Fortschritt verändern könnten. Die Ausstellung Technologies of Togetherness im Kunstverein Ludwigshafen ist die erste institutionelle Einzelpräsentation der österreichischen Künstlerin in Deutschland.

Pöschls filmische Erzählungen entführen ihre Betrachter*innen in rätselhafte, oft im Verborgenen liegende Szenerien und präsentieren bildgewaltige Verschmelzungen von Mythos, Dokumentation und ScienceFiction. Hierbei stehen immer wieder Orte im Fokus, die an den Rändern des gesellschaftlichen Lebens liegen und nach einer eigenen, inneren Logik funktionieren. Systemische Abläufe, Mechanismen und Techniken im gesellschaftlichen Zusammenhang sind dabei häufige Sujets. Auch ihr Film Evernormal Granary (2022), welcher für die Ausstellung neu produziert wurde, bildet einen geschlossenen Organismus ab: Der staatliche Getreidespeicher am Ludwigshafener Rheinufer wird als sich selbst regulierende Architektur präsentiert, die – so die Prämisse – Schwankungenin Angebot und Nachfrage ausgleichen soll. Dieser neue Film-Essay von Marlies Pöschl beschäftigt sich mit Fragen von Ökonomie, Ernährungssicherheit, Botanik, Nahrungsmittelspekulation sowie Logistik und stellt der industriellen Nahrungsmittelproduktion indigene ökologische Perspektiven entgegen.

Für Evernormal Granary hat die Künstlerin mit der US-amerikanischen Choreografin Amelia Eisen zusammengearbeitet. Die von den „WächterInnen“ des Speichers performte Choreografie bezieht sich auf das Buch Braiding Sweetgrass (2013) von Robin Wall Kimmerer und verarbeitet die wechselseitigen Beziehungen zwischen Mensch und Natur in einem Tanz im Staub und zum Klang der Getreideaufbereitung. Die Ergebnisse umfassender inhaltlicher Recherchen zu gesellschaftspolitischen, technischen und historischen Diskursen bilden die Basis für Pöschls Kunst. Häufig beziehen ihre Werke wissenschaftliche Forschungen und Faktenwissen ein, sie beinhalten aber auch utopische, sogar träumerische Momente und philosophische Einflüsse. In einer Reihe von Pöschls jüngsten Arbeiten stehen unsere Emotionen, die zukünftigen Möglichkeiten ihrer Übersetzung ins Technische und die Entstehungsprozesse solcher techno-affektiven Milieus im inhaltlichen Fokus. So spürt der halb-dokumentarische Science-Fiction Film Aurore (2019) der Frage nach, wie ein Alltag aussehen würde, in dem Maschinen Emotionen ausdrücken können. Das Werk ist im Kontext eines pädagogischen Projekts mit französischen Schülerinnen sowie SeniorInnen gemeinschaftlich erarbeitet worden und erzählt die Geschichte einer künstlichen Intelligenz, die als virtuelle Pflegerin für ältere Menschen entwickelt wurde. Wie auch in anderen Arbeiten der Künstlerin verflechten sich in Aurore unterschiedliche Erzählebenen: Von der semi-dokumentarischen Schilderung im Altenheim gelangen wir nach einem Re-boot Aurores in eine experimentelle Meditation über Körperlichkeit und Virtualität. Tanz, Musik, Performance, Sprache und Poesie sind nur einige der Ausdrucksmöglichkeiten, die in den Filmen der Künstlerin zum Einsatz kommen. Kollektives Arbeiten ist darüber hinaus eine zentrale verbindende Methodik in der künstlerischen Auseinandersetzung von Marlies Pöschl. Häufig bezieht sie in ihre Prozesse andere Künstlerinnen, aber auch LaiendarstellerInnen sowie Menschen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Milieus mit ein. Das Filmemachen beschreibt sie selbst als soziale Praxis, sie vertraut auf kollektive Intelligenz und schafft so Werke, die die Vielschichtigkeit unseres gemeinschaftlichen Seins abbilden. Pöschl initiiert häufig Formate der pädagogischen Arbeit oder des direkten Austausches mit ihrem Gegenüber, aus denen in Folge künstlerische Arbeiten entstehen. Simple Whistles (2020) beispielsweise ist ein HD-Video, auf Grundlage einer Chor-Performance, die mit Mitgliedern des französischen Chors la Clé des Chants und Bewohnerinnen eines Altenheims erarbeitet wurde. Eine kollektiv verfasste poetische Komposition über deren zukünftige Seniorenresidenz entstand in Referenz zu den Maschinengeräuschen, von denen die Senior*innen in ihrem täglichen Leben umgeben sind.

Die Filme von Marlies Pöschl imaginieren angesichts einer bedrohten und aus dem Gleichgewicht geratenen Gegenwart Möglichkeiten einer digitalisierten, nachhaltigen und fürsorglichen Zukunft. Technologies of Togetherness präsentiert einen breiten Querschnitt durch das bisherige kreative Schaffen der Künstlerin. Die Ausstellung möchte die Besucher*innen des Kunstvereins Ludwigshafen mit diesem Projekt für die Prozesshaftigkeit der gesellschaftlichen Entwicklungen im Zusammenhang mit sozialen Fragestellungen der Gegenwart sensibilisieren. Pöschls Kunst steht für das ständige Vor und Zurück unseres Fortkommens, in dem die Bedürfnisse des Individuums und der Gemeinschaft ebenso wie Sachlichkeit und Emotionalität, Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit immer wieder gegeneinander aufgewogen werden. Sie plädiert für Wissenschaft und Sinnlichkeit in gleichem Maße und benennt immer wieder die einzige Lösung für unser Dilemma: das Miteinander.

Kuratiert von Jana Franze-Feldmann

Das Projekt wird gefördert von Stiftung Kunstfonds im Rahmen von NEUSTART KULTUR, BASF SE und Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport der Republik Österreich.

Bildnachweis: Evernormal Granary, 2022, Video still


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