Sonderausstellung mit neuer Werkgruppe des Künstlers Michael Morgner

„Unter der Haut“
Der Gerhard-Altenbourg-Preisträger des Jahres 2012, Michael Morgner, kehrt nach zehn Jahren zurück nach Altenburg. Anlässlich seines 80. Geburtstages präsentiert das Lindenau-Museum im Prinzenpalais des Residenzschlosses Altenburg vom 18. August bis zum 3. Oktober 2022 die neue Werkgruppe des Künstlers, die sich mit den Arbeiten des Bildhauers Auguste Rodins auseinandersetzt.   Michael Morgners „Rodin-Zyklus“   Ausdrücklich keine Retrospektive zeigt das Lindenau-Museum Altenburg mit der Ausstellung „Unter der Haut. Morgner zeichnet Rodin“. In der Sonderausstellung anlässlich des 80. Geburtstages des Chemnitzer Künstlers wird eine bisher nicht gezeigte, neue Werkgruppe des Künstlers vorgestellt: der Rodin-Zyklus. Dabei handelt es sich um eine Reihe von Zeichnungen, die sich mit einzelnen, teils ikonischen Werken des französischen Bildhauers Auguste Rodin (1840-1917) auseinandersetzen und in den Mittelpunkt rücken. Sie sind in nur einem Monat im Jahr 2021 entstanden.   Für Michael Morgner sind die Werke Rodins der Ausgangspunkt, von dem aus er zu seiner eigenen künstlerischen Position ansetzt: Aus einer bestimmten Perspektive betrachtet, schafft Morgner eine Vielzahl an Variationen der ursprünglichen Skulptur und arbeitet zeichnerisch die Eigen- und Feinheiten der Figur heraus. Während sich frühere Arbeiten Morgners durch die Stärke der Linie auszeichnen, löst der Künstler mit seinem Rodin-Zyklus Linien auf. Proportionen einzelner Motive verlieren sich und werden bis an die Bildgrenzen geführt. Dass das ŒuvreRodins seit längerer Zeit auf das Schaffen Michael Morgners wirkt, zeigt bereits das frühere Werk „Schreitender“, das sich an Rodins gleichnamiger Skulptur orientiert.     Mit seinen Zeichnungen beweist Morgner auch seine technischen Fähigkeiten. Für den Rodin-Zyklus greift er auf die Technik der Lavage zurück. Dabei trägt er Tusche auf ein mehrschichtiges, handgeschöpftes Papier auf, das nur in Teilen getrocknet und mit einem harten Wasserstrahl bearbeitet wird. Das entstandene Bild wird weiter gezeichnet und der Vorgang wiederholt. Damit erzeugt Morgner Licht- und Schattenverhältnisse, die die Ausdrucksstärke seiner Werke nochmals intensivieren.   

Die etwa 100 ausgestellten Zeichnungen von Michael Morgner lehnen sich an herausragende Werke Auguste Rodins an. Skulpturen wie „Die Bürger von Calais“, „Mann mit gebrochener Nase“ oder „Verkrampfte Hand“ brachen bei ihrer Fertigung mit künstlerischen Konventionen und führten die Gattung der Skulptur in die Moderne.

Ohne eine Antwort herbeiführen zu wollen, wird innerhalb der Ausstellung die Frage nach Schönheit aufgeworfen: Was ist Schönheit? Gerade im Hinblick auf das Wirken Rodins ist die Frage zentral, weckte doch gerade das Non-Finito – das unvollendete Kunstwerk – sein Interesse. Eines der bekanntesten Beispiele dafür ist Rodins „Mann mit gebrochener Nase“. Michael Morgner greift das Werk, das eigentlich den Arbeiter Monsieur Bibi zeigen soll, auf und verleiht ihm in einer Vielzahl an neuen Variationen eine besondere Tiefe. Obschon es sich um ein „unvollendetes“ Motiv handelt, verleiht Morgner der Figur mit seiner Linienführung, den Flächen, Licht und Schatten Würde und Aufmerksamkeit – ganz im Sinne Rodins.

Teil der Ausstellung ist auch eine zeichnerische Auseinandersetzung mit Rodins Skulptur „Die Bürger von Calais“. Eigentlich als Auftragsarbeit der Stadt Calais gedacht, wurde sie den ursprünglichen Erwartungen nicht gerecht: Obschon vereint im aufopferungsvollen Kampf gegen die englische Besatzung, zeigt sie doch zugleich die unterschiedliche Auffassung der gemeinsamen Bürde und lässt jegliches Heldentum vermissen. Gerade diese Skulptur ist es, die Anknüpfungspunkte zum Leben Morgners bietet. Als Teil der Künstlergruppe Clara Mosch stand er zusammen mit Carlfriedrich Claus, Dagmar Ranft-Schinke, Thomas Ranft und Gregor-Torsten Schade (heute Kozik) für ein alternatives Kunstschaffen in der DDR, unabhängig von staatlicher Doktrin. Doch während Rodins Skulptur scheinbar unzerstörbar den Zeiten trotzt, wurde die Gruppe Clara Mosch durch den Fotografen Ralf-Rainer Wasse überwacht, zerrieben und schlussendlich getrennt.

Auch in anderen Exponaten lassen sich weitere Verbindungslinien zwischen dem Werk Auguste Rodins und dem Leben Michael Morgners herauslesen. Symbolhaft dafür kann die Darstellung einer Hand stehen. Für beide Künstler sind die Hände die wichtigsten Werkzeuge. Das besondere Interesse für dieses „Werkzeug“ lässt sich bereits in Rodins „Verkrampfter Hand“ erkennen. Michael Morgner greift sich diese Arbeit heraus und macht sie sich zeichnerisch zu eigen. Bei Morgner schwingt dabei zugleich die Erfahrung mit, ohne dieses wichtige Werkzeug leben zu müssen, versagtem ihm vor zehn Jahren doch die Hände infolge eines Schlaganfalls den Dienst. Die im Prinzenpalais ausgestellten Werke sind der Beweis eines körperlichen, aber auch kreativen Wiedererstarkens.

Auch der persönliche Verlust bzw. die Darstellung von physischen Leid wohnt hierbei dem Werk Rodins wie dem Morgners gleichermaßen inne. Bezugnehmend auf die Skulpturen „Erde“ und den „Mann mit gebrochener Nase“ hat Morgner die Formen von Rodins Plastik zu einem abstrakten Gebilde aus Linien und Schraffuren komponiert. Ein Gesicht, beinahe zur Unkenntlichkeit entstellt, blickt die Betrachterinnen und Betrachter an und bezieht sie in die Gefühlswelt, bestehend aus Trauer um Verlorenes, ein.

So sind die in der Ausstellung präsentierten Exponate Michael Morgners nicht nur Ausdruck einer tiefgehenden Auseinandersetzung mit dem Oeuvre Auguste Rodins, sie sind auch Zeugnis eines Blickes auf das eigene Leben sowie in die eigene Gefühlswelt. Der Ausstellungstitel „Unter der Haut“ lässt sich so in zwei Richtungen lesen: Michael Morgners Blick unter die äußere Membran der Skulpturen Rodins und zugleich als Selbstbetrachtung in das eigene Innere eben unter die Haut.

Die Künstler
Michael Morgner

Michael Morgner wurde 1942 in Chemnitz geboren. Nach seinem Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig (1961–1966) begann er seine Arbeit als freischaffender Künstler. 1973 war er Gründungsmitglied der Galerie Oben, vier Jahre später gründete er zusammen mit Carlfriedrich Claus, Dagmar Ranft-Schinke, Thomas Ranft und Torsten Schade (heute Kozik) die Künstlergruppe Clara Mosch (der Name setzt sich aus den Anfangsbuchstaben der Beteiligten zusammen). 1988 verweigerte Michael Morgner die Teilnahme an der X. Kunstausstellung der DDR und zog sich aus dem Verband Bildender Künstler der DDR zurück. Im gleichen Jahr gewann er den Hauptpreis der Triennale Sofia. 1990 wurde Morgner Gründungsmitglied der Sächsischen Akademie der Künste. Von 1993 bis 2000 organisierte das Institut für Auslandsbeziehungen eine Weltausstellungstournee mit Werken Michael Morgners. 1995 wurde der Künstler mit dem Kunstpreis der Großen Kunstausstellung NRW ausgezeichnet. Zugleich stellte er sein Atelier in Einsiedel fertig. Zu dieser Zeit werden Ausstellungen mit seinen Werken in Ost- und Südeuropa, Russland, dem Baltikum, Belgien und Südamerika realisiert. 2003, 2005 und 2007 hatte Michael Morgner eine Gastprofessur an der Internationalen Sommerakademie für Bildende Kunst Salzburg. 2012 wurde der Künstler mit dem Gerhard-Altenbourg-Preis des Lindenau-Museums Altenburg ausgezeichnet. Im Jahre seines 80. Geburtstages, 2022, ehrten ihn mit Einzelausstellungen die Kunstsammlungen Chemnitz und das Lindenau-Museum Altenburg.

Auguste Rodin

Auguste Rodin wurde 1840 in Paris geboren. Seine erste künstlerische Erziehung erhielt er von 1854 bis 1857 an der Petit École, wo das Zeichnen im Mittelpunkt stand. In den darauffolgenden Jahren erarbeitete er sich alle Techniken der Kunst der Bildhauerei. Erste berufliche Schritte in Richtung der Bildhauerei unternahm er während seiner Tätigkeit beim Dekorationsbildhauer Albert Carrier-Belleuse. In den Jahren 1875 bis 1879 entstanden mit den Werken „Mann mit gebrochener Nase“ und „Das Eherne Zeitalter“ zwei seiner bekanntesten Werke. 1882 nahm er die Arbeit an seinem „Höllentor“ auf. Bekanntschaft mit Camille Claudel machte Rodin ebenfalls im Jahr 1882. Sie wurde seine Schülerin, Mitarbeiterin und Geliebte. Viele seiner folgenden Skulpturen wurden maßgeblich durch Claudel beeinflusst und sind von ihr mit erarbeitet worden. 1890 gründete Rodin die Künstlervereinigung Societé nationale des beaux-arts, die in Konkurrenz zum staatlichen Salon gegründet wurde, mit. In einem eigens dafür errichteten Pavillon an der Place de l´Alma eröffnete eine große Sonderausstellung mit Werken Rodins, der mittlerweile Weltruhm genoss. 1902 machte er Bekanntschaft mit Rainer Maria Rilke, der kurzzeitig als Sekretär bei ihm arbeitete. Im Jahr darauf traf er Paula Modersohn-Becker, 1904 Käthe Kollwitz. Von 1907 bis 1909 bezog Rodin die Räume des Hôtel Biron in Paris, in dem heute das Musée Rodin untergebracht ist. 1915 erlitt der Künstler einen ersten Schlaganfall, im Jahr 1916 folgten zwei weitere Schlaganfälle. Im gleichen Jahr wurde die Einrichtung eines Musée Rodin genehmigt. 1917 heiratete Auguste Rodin seine langjährige Lebensgefährtin Rose Beuret, die nur zwei Wochen nach der Trauung starb. Im November des gleichen Jahres starb auch der Künstler. Zwei Jahre nach seinem Tod – 1919 – wurde das Musée Rodin eröffnet. Sein Atelier und Wohnhaus in Meudon, seinem Sterbeort, sind seit 1947 öffentlich zugänglich.

Bildnachweis: Michael Morgner, nach Auguste Rodins „Verkrampfte Hand“ (Main crispée), 2021, © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Foto: Morgner-Archiv


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