14. September – 10. November 2024
Kunstsammlung Jena


Das Präsentieren von Haaren in den Achselhöhlen hat heute etwas Unverschämtes an sich – noch dazu, wenn sich diesen Haaren eine ausgestreckte Zunge nähert. Die Fotografie von Marlon Shy aus dem Jahr 1992 ist ein in mehrfacher Hinsicht provozierendes Foto. Mag die bloße Existenz der Haare allein schon für manchen ein Gefühl des Ekels hervorrufen, steigert die Bewegung der Zunge in Richtung Achselhöhle diese Wirkung noch. Gilt es doch heute als nicht unüblich, sich der Körperbehaarung ganz oder zumindest teilweise zu entledigen. Denn die glatte, haarlose Haut hat sich mittlerweile zur Normalität, ja zur Norm herausgebildet, wodurch das Zeigen von Achselbehaarung in der Öffentlichkeit wie in Fotografien zur Seltenheit geworden ist. Ein Schönheitsideal, das durch Werbung, Medien und nicht zuletzt die Modeindustrie seit einigen Jahrzehnten diktiert und nicht selten mit Hygiene und Reinheit assoziiert wird.

Die Ausstellung „Unverschämte Schönheit“ kreist in über 150 Fotografien um eben jenes Detail, das vor allem im westlichen Kulturkreis von der Bildfläche verschwunden scheint. Das verbindende Sujet ist der weibliche Körper, der im Zentrum fast aller ausgewählten Arbeiten steht. Dabei besticht dessen Erotik mit seiner natürlichen Schönheit jenseits von digitaler Bildbearbeitung, welche sich so von der Allgegenwart kultureller Zeitgeistigkeit abhebt. Alle Fotografien sind Bestandteil der Sammlung Horbach und verweisen nicht nur auf eine der bedeutendsten Sammlungen zur Fotografie in Deutschland, sondern auch auf einen Sammler, der als Kurator vieler Ausstellungen den Blick auf die Fotografiegeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts mitgeprägt hat.

Von den 1920er Jahren bis in die Gegenwart spannt die Ausstellung einen zeitlichen Bogen über 100 Jahre, wobei die Fotografien aus den vergangenen fünfzig Jahren deutlich überwiegen. Die Aufnahmen von Germaine Krull, Man Ray, Heinz Hajek-Halke, Edward Weston und Tim Gidal zählen noch zu den Pioniertaten der Fotografie, während Federico Patellani, Mario de Biasi und Lucien Clerque berühmte Fotografen der Nachkriegszeit sind. Singuläre Bedeutung genießt Helmut Newton, der mit seiner ikonischen Handschrift zur Etablierung eines neuen Frauentypus in der Modefotografie geführt hat. Mit Lee Friedlander, Olaf Martens, Birgit Kleber, Marlo Broekmans oder Annette Frick sind auch jüngere Handschriften vertreten, die in unsere Zeit hineinreichen und deren Entstehung sich mit unserem Erleben zumindest teilweise überschneidet. Die Auswahl vereint Porträts, Akte, sozialdokumentarische und inszenierte Fotografien, die allesamt den Blick auf viel nackte Haut eröffnen.

So zeitlos diese Fotos sind, passen sie dennoch erstaunlich gut in die Gegenwart, regt sich doch vor allem in der Generation der jungen Frauen ein zaghafter Widerstand, sich dem allgemeinen Schönheitsdiktat zu beugen, indem sie auf das Entfernen der Körperhaare verzichten. Gerade in den sozialen Medien, wo heute jeder Trend beginnt, begegnen uns wieder zunehmend Haare an Beinen und unter Achseln. Die Fotos der Sammlung Horbach sind daher mittendrin in der Debatte um körperliche Selbstbestimmung und somit zeitgemäßer, als es der erste Eindruck vermuten lässt.

Die Michael Horbach-Stiftung betreibt im ehemaligen Galerie- und Atelierkomplex von Monika Sprüth/ Rosemarie Trockel in der Kölner Südstadt eigene Kunsträume. Gezeigt werden vor allem Ausstellungen zeitgenössischer Fotografie und Malerei. Wir freuen uns, dass wir diese Ausstellung in der Kunstsammlung Jena zeigen dürfen und danken dem Sammler für die freundliche Bereitstellung der Werke.

Dem Freistaat Thüringen danken wir für die Förderung des Ausstellungsprojektes.

Bildnachweis: ©Kunstsammlung Jena


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