SIMURGH
14. Februar – 18. Mai 2025
Kunsthalle Baden-Baden
Slavs and Tatars mit Marcel Broodthaers und Cevdet Erek
Einzelausstellung des in Berlin ansässigen internationalen Kollektivs Slavs and Tatars in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden
Pressekonferenz
Freitag, 14. Februar 2025, 12 Uhr in Anwesenheit von Slavs and Tatars und Cevdet Erek.
Über die Ausstellung
Die Einzelausstellung des in Berlin ansässigen internationalen Kollektivs Slavs and Tatars trägt den Titel Simurgh, benannt nach einer majestätischen, mythologischen, vogelartigen Kreatur, die in der persischen, türkischen und weiteren eurasischen Geschichten verankert ist. Die Simurgh-Legende ist reich an Themen wie der Einheit und der Verbundenheit aller Lebewesen und liefert wertvolle Einblicke in Konzepte des Zusammenlebens und dessen Verbindung zu Demokratie, repräsentativer Politik, Selbstverwaltung und der Konstruktion von Hoffnung. Mit verschiedenen Medien – von Klang und Glasarbeiten bis hin zu Textilien und Spiegeln – lädt die Ausstellung Simurgh zu einem Dialog über Existenz, Zusammenleben und Zugehörigkeit ein und verwandelt die Staatliche Kunsthalle Baden-Baden in einen Raum der Selbsterforschung.
Die Ausstellung Simurgh präsentiert neu in Auftrag gegebene Werke, die dieses eurasische Wesen mit dem Kontext von Baden-Baden und Baden Württemberg verbinden. Dies geschieht durch die Tradition lebendiger, sich immer wieder erneuernder Erzählungen, Fabeln und Mythen, wie sie auch im Schwarzwald zu finden sind. Ausgewählte Werke des wegweisenden Konzeptkünstlers Marcel Broodthaers (1924–1976) sind als Referenzen in den Ausstellungsrundgang integriert, zusammen mit einer klangbasierten Rauminstallation des in Istanbul ansässigen Künstlers Cevdet Erek. Diese Elemente erweitern den Rahmen der Ausstellung symbolisch, architektonisch und klanglich.
Mit der Ausstellung Simurgh berufen sich Slavs and Tatars auf Broodthaers’ bahnbrechendes Werk Musée d’Art Moderne: Département des Aigles (1968 – 71), in dem die Rolle des Adlers in der französischen und deutschen Heraldik, Literatur und Geschichte dekonstruiert wird. Dabei ersetzen sie den Adler als Symbol des Nationalismus durch die Figur des Simurgh, die eindeutig transnational, wenn nicht sogar metaphysisch ist.
Im Zuge ihrer kollektiven und diskursiven künstlerischen Praxis haben Slavs and Tatars Cevdet Erek eingeladen, den Hauptsaal der Kunsthalle gemeinsam zu bespielen. Erek greift für Courtyard Ornamentation with Four Sounding Dots and a Fake Shade (2024) eines seiner früheren Werke auf, das ursprünglich im Außenbereich präsentiert wurde, und richtet die Aufmerksamkeit auf das Thema Rhythmus. Dabei hebt er die Verbindungen zwischen Klangmustern und rhythmischen Wiederholungen hervor. Sein Werk legt den Schwerpunkt sowohl auf die auditiven Elemente als auch auf die visuellen Aspekte, die traditionell mit architektonischer „Ornamentik“ assoziiert werden.
Slavs and Tatars richten ihr Interesse seit jeher auf die Ränder der Wissensproduktion, die Grenzen von Glaubenssystemen sowie auf die Peripherien von Ritualen und weniger auf deren Zentren. Denn gerade an diesen Übergangsbereichen entfalten sich Synkretismus und Hybridität. Seit seiner Gründung im Jahr 2006 hat das Kollektiv ein feines Gespür für kontroverse Fragestellungen in der Gesellschaft bewiesen und durch eine umfassend idiosynkratische Form der Wissensproduktion neue Wege für den zeitgenössischen Diskurs geebnet: unter Einbeziehung von Popkultur, spirituellen und esoterischen Traditionen, mündlichen Überlieferungen, modernen Mythen sowie wissenschaftlicher Forschung.
Seit dem Zusammenbruch der UdSSR und insbesondere seit der massiven russischen Invasion in die Ukraine gibt es unter den ehemaligen sowjetischen Menschen ein starkes Bestreben, ihre nationale Identität zu artikulieren und sich von dem kolonialen Einfluss Moskaus zu lösen. Heute ist es jedoch ebenso wichtig, das Verbindende wie das Trennende zu aktivieren und zu erneuern. Diese regionalen Solidaritäten können folkloristisch, spirituell und semiotisch (wie der Simurgh), kulinarisch (wie das Interesse des Kollektivs an Essiggurken und Fermentierung gezeigt hat) oder rituell sein (wie Erntefeste oder das Teetrinken aus einem Samowar, die ebenfalls in ihrer künstlerischen Arbeit vorkommen). Durch die Fokussierung auf die verschiedenen Iterationen eines mythischen und metaphysischen Symbols in einer großen Region stellt Simurgh den Regionalismus, der den Kern der künstlerischen Praxis von Slavs and Tatars ausmacht, neu vor.
Die Ausbreitung dieses mythischen Vogels erstreckt sich von der Zentralukraine (Semargl, einer der neun heidnischen Götter der vorchristlichen Kiewer Rus) bis in die uigurische Region im heutigen China. Zu den bekanntesten Allegorien des Simurgh gehört das Konzept der Einheit in der Vielfalt aus dem Sufismus. In der Dichtung Die Konferenz der Vögel von Farid ud-Din Attar (1145–1221) begeben sich die Vögel auf der Suche nach ihrem Anführer, dem legendären Simurgh, auf eine lange Reise. Am Ende erkennen sie jedoch, dass Gott oder das Transzendente in ihnen selbst wohnen.
In der Ausstellung bildet diese Dichtung aus dem 12. Jahrhundert, in dem der Simurgh als erzählerisches Element dient, den kuratorischen Rahmen. Um den legendären Berg Qaf zu erreichen, müssen die Vögel sieben Täler durchqueren: das Tal des Willens, der Liebe, der Unwissenheit, des Zweifels, der Einsamkeit, der Gerüchte und schließlich das Tal des Selbst. Die Ausstellung folgt dieser Erzählstruktur und kombiniert frühere Werke von Slavs and Tatars mit neuen Arbeiten, die sich mit der Figur des Simurgh auseinandersetzen.
Simurgh (2025) ist ein Auftragswerk der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden und des Frac des Pays de la Loire, Nantes, Frankreich. Die Einzelausstellung wird erstmals in beiden Institutionen präsentiert: in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden vom 14. Februar bis 18. Mai 2025, gefolgt von einer Ausstellung im Frac des Pays de la Loire im Sommer 2025.
Die Ausstellung in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden wird kuratiert von Çağla Ilk, Misal Adnan Yıldız und Sandeep Sodhi.
Biografien der Künstler*innen
Slavs and Tatars
Das international renommierte Kunstkollektiv Slavs and Tatars wurde 2006 gegründet und beschäftigt sich mit einem Gebiet östlich der ehemaligen Berliner Mauer und westlich der Chinesischen Mauer. Die Praxis des Kollektivs basiert auf drei Aktivitäten: Ausstellungen, Publikationen und Lecture Performances. Ihre Arbeiten wurden weltweit in Einzelausstellungen gezeigt, darunter in der Wiener Ausstellung, im MoMA, New York, Salt, Istanbul, im Albertinum Dresden, und waren auf der 58. Biennale von Venedig (2019), der Berlin Biennale (2014), der 9. Gwangju Biennale (2012) und der 2. Biennale für Islamische Kunst (2025) zu sehen. Slavs and Tatars hat bisher mehr als zwölf Bücher veröffentlicht, darunter zuletzt ihr erstes Kinderbuch „Azbuka schlägt zurück“ mit Walther und Franz König. Im Jahr 2020 eröffneten Slavs and Tatars die Pickle Bar, eine slawische Aperitivo-Bar mit Projektraum im Berliner Stadtteil Moabit, sowie ein Residenz- und Mentorenprogramm für junge Künstler*innen aus der Region.
Marcel Broodthaers
Marcel Broodthaers (1924-1976) war bis zu seinem 40. Lebensjahr vor allem als Dichter tätig, bevor er sich der Bildenden Kunst zuwandte. In den folgenden 12 Jahren behielt sein Werk eine poetische Qualität und einen Sinn für Humor, der seinen konzeptionellen Rahmen ergänzte. Für seine erste Einzelausstellung hüllte er unverkaufte Exemplare seines letzten Gedichtbandes Pense-Bête (Gedächtnisstütze, 1964) in Gips ein und verwandelte sie in eine Skulptur. Broodthaers erfand immer wieder neue Wege, um der Sprache eine materielle Form zu geben, und arbeitete dabei medienübergreifend. Mit Poesie, Skulpturen, Malereien, Künstlerbüchern, Druckgrafiken und Film. Von 1968 bis 1972 gründete er das Musée d’Art Moderne, Département des Aigles (Museum für Moderne Kunst, Abteilung der Adler), dessen Direktor er selbst war und das sich mit der Rolle der Institution und der Funktion von Kunst in der Gesellschaft befasste. In dieser Zeit fertigt er auch die thermogeformten Kunststoffplatten, die als „industrielles Gedicht“ bekannt sind, sowie einige „Offene Briefe“ in enger Verbindung mit seinem Museum. In seinen letzten Lebensjahren schuf Broodthaers immersive „Décors“, groß angelegte Ausstellungen, in denen Beispiele seiner früheren Arbeiten oft mit für diesen Anlass geliehenen Objekten kombiniert wurden.
Cevdet Erek
Cevdet Erek studierte zwischen 1992 und 1999 Architektur an der Mimar Sinan University of Fine Arts in Istanbul. Während er als Architekt praktizierte und mit der Rockgruppe Nekropsi auftrat, erwarb Erek 2003 seinen Master Abschluss in Tontechnik und -design am Center for Advanced Studies in Music (MIAM) der Technischen Universität Istanbul, an der er auch seinen Doktortitel erwarb.
Ereks künstlerische Praxis basiert auf den Themen Klang, Architektur, Rhythmus, Zeitmessung, Tanzmusik und Ortsspezifik. Durch die Kombination von Video, Ton und Bild versucht er oft, die Wahrnehmung und Erfahrung des Publikums in einer bestimmten Umgebung zu verändern. Sein besonderes Interesse gilt der Art und Weise, wie wir die Welt um uns herum wahrnehmen und unser Leben durch Messungen von Raum (metrisches System), Zeit (Kalender und Uhr) und Musiktempo (Beats pro Minute) gestalten. Der Künstler verbindet diese scheinbar objektiven Systeme mit anderen, scheinbar subjektiveren Systemen, wie dem zeitlichen Ablauf von Ereignissen oder dem sich verändernden Rhythmus in musikalischen Improvisationen.
Programm
Eröffnung mit Wochenendprogramm
14. – 16. Februar 2025
Freitag, 14. Februar
19 Uhr Ausstellungseröffnung in Anwesenheit der Künstlerinnen Slavs and Tatars und Cevdet Erek sowie der Kuratorinnen der Ausstellung Çağla Ilk, Misal Adnan Yıldız und Sandeep Sodhi
Samstag, 15. Februar
11 Uhr Kurator*innenführung durch die Ausstellung Künstlergespräch
mit Slavs and Tatars und Cevdet Erek
12 Uhr Künstlergespräch mit Slavs and Tatars und Cevdet Erek
Lunch-Führung jeden Freitag um 13 Uhr. Freitags freier Eintritt.
Öffentliche Führungen jeden zweiten Sonntag um 14 Uhr.
Bildnachweis: Ausstellungsbanner
Kunsthalle Baden-Baden
Lichtentaler Allee 8a
76530 Baden-Baden